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Marktbericht: US-Zinswende wird zum Cliffhanger


Marktbericht

Stand: 07.06.2024 22:17

Nach den Arbeitsmarktdaten kommt der Zinsentscheid. Die US-Börsen jagen von einer Konjunkturzahl zur nächsten, ohne dass klar ist, wann die Zinswende kommt. Entsprechend verunsichert sind die Anleger.

Die Wall Street beendete die Woche richtungslos, selbst nach den überraschend robusten Arbeitsmarktdaten für Mai. Die wichtigsten Indizes wechselten im Wochenverlauf mehrmals ihr Vorzeichen, die Schwankungen blieben jedoch minimal. Damit setzte sich der inkonsistente und richtungslose Trend der letzten Handelstage fort.

Der Leitindex Dow Jones schloss bei 38.798 Punkten, ein leichtes Minus von 0,22 Prozent. Auch die anderen Indizes bewegten sich im volatilen Handel wenig. Der S&P 500 und der Index der Technologiebörse Nasdaq verloren zwischen 0,1 und gut 0,25 Prozent. Der Nasdaq-100-Index erreichte mit 19.113 Punkten zwar einen neuen Höchststand, der prozentuale Zuwachs fiel allerdings moderat aus. Wie schon zuvor im europäischen Handel war kein klarer Trend zu erkennen.

Konkret sind in den USA im Mai mit 272.000 neuen Stellen außerhalb der Landwirtschaft deutlich mehr entstanden als erwartet. Analysten hatten zuvor 185.000 neue Stellen prognostiziert. Zugleich sind auch die für die Inflation wichtigen Stundenlöhne stärker gestiegen als erwartet, nämlich um 0,4 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Die Erwartung lag hier bei 0,3 Prozent.

Die gesondert berechnete Arbeitslosenquote stieg allerdings von 3,9 Prozent auf 4,0 Prozent. Erwartet worden war eine unveränderte Quote. Im längerfristigen Vergleich bleibt die Arbeitslosigkeit in der weltgrößten Volkswirtschaft trotz der hohen Zinsen niedrig.

„Die Tatsache, dass die Zahlen so unterschiedlich sind, macht es für Investoren und sogar Zentralbanker sehr schwierig, genau zu verstehen, was passiert“, sagte Brian Nick, Stratege beim Finanzdienstleister The Macro Institute.

Die Entwicklung des Arbeitsmarktes gilt als entscheidender Faktor für die Geldpolitik der US-Notenbank. Ein robuster Arbeitsmarkt kann zu deutlicheren Lohnerhöhungen führen und den allgemeinen Preisanstieg verstärken. Ihr Ziel, den Arbeitsmarkt zu dämpfen, hat die Fed bisher jedenfalls verfehlt.

„Diese Kombination aus überwiegend robustem Arbeitsmarkt und gleichzeitig hohem Lohnwachstum könnte die US-Notenbank noch eine Weile von Zinssenkungen abhalten“, kommentiert Thomas Altmann von QC Partners. Die nächste Zinsentscheidung der Fed steht nächste Woche auf der Agenda, und Anleger rechnen ohnehin noch nicht mit einer Zinssenkung.

Zwar haben die Arbeitsmarktdaten die Zinshoffnungen enttäuscht, zuletzt führten aber auch schwächere Konjunkturdaten zu gestiegenen Sorgen um die Konjunktur. Diese Sorgen dürften nun zurückgehen, die Lage an der Wall Street bleibt also in diesem Spannungsfeld schwierig. Die letzten Handelstage haben gezeigt, wie empfindlich Anleger reagieren, wenn die Gewinnaussichten der Unternehmen bröckeln.

Die Fed versucht, die Konjunktur zu bremsen, ohne sie in eine Rezession zu treiben. Ein schwieriges Unterfangen, das bislang aber recht gut funktioniert. Allerdings fallen die jüngsten Konjunkturdaten durchwachsen aus, was die Anleger erneut verunsichert hat. Im Fokus stehen in der kommenden Woche deshalb neue Inflationsdaten. Mit Spannung wird aber auch die Zinssitzung der Fed erwartet, deren Ergebnisse wie üblich am Mittwochabend mitteleuropäischer Zeit (MEZ) bekannt gegeben werden.

Stützend auf die Börse wirkt dagegen der neue Boom im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) mit dem Chiphersteller Nvidia als unangefochtenem Marktführer. Die Börse liebt solche Goldgräberstimmungen – die Nvidia-Aktien sind dramatisch im Kurs gestiegen, der Wert des Unternehmens stieg zuletzt auf über drei Billionen Dollar. Demnächst soll die Nvidia-Aktie im Verhältnis 1:10 gesplittet werden.

Unter den Einzelwerten zogen erneut die Aktien von GameStop das Interesse der Anleger auf sich. Die Aktien des Videospielehändlers waren bereits im vorbörslichen Handel auf einer Achterbahnfahrt. Sie schossen zunächst um mehr als 35 Prozent in die Höhe, nachdem Starinvestor Keith Gill alias „Roaring Kitty“ am Freitag seine Rückkehr zur Videoplattform YouTube nach drei Jahren angekündigt hatte.

Kurz darauf stürzten die Aktien auf minus 16 Prozent ab. Grund dafür waren enttäuschende Quartalszahlen und die Ankündigung des Unternehmens, weitere 75 Millionen Aktien verkaufen zu wollen. Am Ende sackte die Aktie dramatisch um gut 39 Prozent ab.

„Der GameStop-Wahnsinn geht in die nächste Runde“, kommentiert Marktbeobachter Sven Weisenhaus von Börse-Intern. „Fast im Minutentakt werden Milliarden Dollar aus dem Nichts geschaffen und dann ebenso schnell wieder vernichtet.“

Am heimischen Aktienmarkt drehte sich am Nachmittag alles um die wichtigen Daten vom US-Arbeitsmarkt. Da diese überraschend robust ausfielen, schwanden an der Weltleitbörse in New York erneut die Hoffnungen auf eine baldige Zinswende. Dem konnte sich auch der heimische Markt nicht entziehen.

Der DAX schloss 0,5 Prozent schwächer bei 18.557 Punkten und gab damit die Gewinne vom Vortag wieder ab. Nach seinem Eröffnungshoch bei 18.649 Punkten blieb der Leitindex den ganzen Tag im Minus. Das Tagestief lag bei 18.424 Punkten. Der MDAX verlor 0,6 Prozent. Auch der Anleihenmarkt tendierte nach unten, die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen stieg auf 2,62 Prozent.

Insgesamt setzte sich der zuletzt instabile Handelsverlauf heute fort. Der DAX verharrt auf hohem Niveau, kann aber aktuell keine neue Dynamik gewinnen. Vor der Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank am Donnerstag hatte der deutsche Leitindex um mehr als ein Prozent zugelegt. Im Wochenvergleich stagnierte der Index mit einem minimalen Plus von 0,3 Prozent.

„Aktuell nehmen die Kapitalmärkte eine abwartende Haltung ein. Grund hierfür ist die Unsicherheit über die anstehenden geldpolitischen Entscheidungen der Notenbanken gepaart mit gemischten Konjunkturdaten aus den führenden Volkswirtschaften“, schreibt die Weberbank in ihrem aktuellen Marktkommentar.

Am Devisenmarkt herrschte nach den Arbeitsmarktdaten vom Nachmittag mehr Bewegung als an der Börse. Zuletzt notierte der Euro im US-Handel nur noch bei 1,0802 Dollar. Am Morgen hatte er noch bei knapp 1,09 Dollar gehandelt. Die Europäische Zentralbank hatte den Referenzkurs auf 1,0898 (Donnerstag: 1,0865) Dollar festgesetzt.

„Der solide Arbeitsmarktbericht wird die abwartende Politik der US-Notenbank bestätigen“, kommentiert Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. „Solange die US-Wirtschaft und insbesondere der Arbeitsmarkt rund laufen, besteht kein Anlass, den Leitzins zu senken.“ Die Erwartung längerfristig hoher Zinsen in den USA stärke die US-Währung.

Am Morgen, einen Tag vor dem Zinsbeschluss der EZB, meldeten sich zahlreiche Notenbanker zu Wort. Viele von ihnen bekräftigten das vorsichtige Vorgehen bei der am Vortag eingeleiteten Zinswende. Bundesbankpräsident Joachim Nagel etwa bekräftigte, dass sich die EZB hinsichtlich weiterer Lockerungen nicht im Autopilot-Modus befinde.

Einen Tag nach der ersten Zinssenkung seit fast fünf Jahren versprach auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde einen langen Kampf gegen die Inflation. Bis die Inflation gänzlich aus der Wirtschaft verbannt sei, werde es noch eine ganze Weile dauern, sagte Lagarde in einem in verschiedenen europäischen Zeitungen erschienenen Kommentar. Am Donnerstag hatten die Währungshüter erstmals seit der großen Inflationswelle ihre Leitzinsen gesenkt, den weiteren Kurs aber offen gelassen.

In welche Richtung sich der DAX entwickelt, hängt auch von der konjunkturellen Lage ab. Die Bundesbank sieht die Konjunktur nach einer zweijährigen Schwächephase langsam im Aufwind. Gestützt durch den steigenden privaten Konsum und bessere Exportgeschäfte ab der zweiten Hälfte des laufenden Jahres komme die deutsche Wirtschaft allmählich wieder in Schwung. Insgesamt fielen die heutigen Konjunkturdaten allerdings durchwachsen aus.

Die Unternehmen haben im April mehr exportiert. Die Ausfuhren stiegen im Vergleich zum Vormonat um 1,6 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Daten mit. Ausgeführt wurden Waren im Wert von 136,5 Milliarden Euro.

Unterdessen hat die Industrie ihre Produktion im April leicht zurückgefahren. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sank die Gesamtproduktion im Vergleich zum Vormonat um 0,1 Prozent. Analysten hatten dagegen im Schnitt mit einem leichten Produktionsanstieg im Verarbeitenden Gewerbe von 0,2 Prozent gerechnet.

Hohe Zinsen kommen bei Immobilieninvestoren grundsätzlich nicht gut an, da sie vor allem die Finanzierungskosten erhöhen. Bereits am Vortag war es für Immobilienaktien nach der ersten Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) seit 2019 bergab gegangen. Konkrete Hinweise auf weitere Zinssenkungen gab es nicht.

Im DAX verloren die Vonovia-Aktien über 7,0 Prozent und bildeten damit das Index-Schlusslicht. Sie weiteten ihre Verluste nach den starken US-Arbeitsmarktdaten aus. Obendrein stufte Morgan Stanley den DAX-Konzern auf „underweight“ zurück. Damit rutschte Vonovia in der Jahresbilanz wieder in die Verlustzone.

Die US-Bank nahm ihre Kaufempfehlung für LEG aus dem MDAX zurück und stufte sie auf „Equal Weight“ zurück; die Aktien sanken um rund 4,5 Prozent. Auch TAG Immobilien gerieten in die Abwärtsspirale und gaben um rund 2,2 Prozent nach. Aroundtown sanken um gut 3,0 Prozent.

Die deutschen Versicherer rechnen nach den Hochwassern in Bayern und Baden-Württemberg mit Schäden von rund zwei Milliarden Euro. Diese erste Prognose ist noch vorläufig, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft heute in Berlin mitteilte.

„Weil das Hochwasser insbesondere an der Donau noch nicht zurückgegangen ist, bleibt in dieser Einschätzung noch eine gewisse Unsicherheit“, sagte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Nach dem Ende des Hochwassers werde der GDV deshalb bei seinen Mitgliedsunternehmen noch einmal nach dem Ausmaß der Schäden fragen.

Das aktuelle Hochwasser in Süddeutschland war das dritte und größte binnen weniger Monate; neben der Donau traten auch viele ihrer Nebenflüsse über die Ufer. Nach Schätzungen des GDV verursachten die Überschwemmungen in Nord- und Mitteldeutschland über Weihnachten Schäden in Höhe von rund 200 Millionen Euro. Ähnlich teuer kamen die Versicherer auch beim Pfingsthochwasser im Saarland und in Rheinland-Pfalz zu stehen.

Der weltgrößte Flugzeugbauer Airbus hat im Mai bei der Auslieferung neuer Jets nachgelassen. Das DAX-Unternehmen übergab 53 Passagierjets an seine Kunden, wie es am Donnerstagabend in Toulouse mitteilte. Im März und April waren es jeweils mehr als 60. Airbus muss weiter hart arbeiten, um in diesem Jahr wie geplant rund 800 Maschinen auszuliefern. Nach den ersten fünf Monaten hat das Unternehmen erst 256 ausgeliefert, das ist nicht einmal ein Drittel seines Jahresziels.

Der Volkswagen Konzern steigt in den Betrieb großer Batteriespeicher für das Stromnetz ein. Im kommenden Jahr werde in Deutschland das erste sogenannte „Power Center“, das grünen Strom zwischenspeichert, ans Netz gehen, kündigte Technikvorstand Thomas Schmall heute in Berlin an.

Betrieben wird die Anlage von VWs Ladenetzsparte Elli. Die Kapazität liege zunächst bei 700 Megawattstunden und könne später auf eine Gigawattstunde ausgebaut werden, sagte Schmall. Das entspreche etwa der Kapazität eines Gaskraftwerks. Weitere „Kraftzentren“ sollen folgen. Damit erschließt sich dem Konzern ein neues Geschäftsfeld in einem wachsenden Markt.

Die Anlagen sollen als Puffer für Wind- und Solarenergie dienen und so helfen, das Stromnetz zu stabilisieren. VW geht davon aus, dass sich der Bedarf an solchen Batteriespeichern in Deutschland in den kommenden Jahren verzehnfachen wird. Zudem erschließt Europas größter Autobauer damit ein weiteres Einsatzgebiet für gebrauchte Elektroauto-Batterien, deren Leistung im Auto nicht mehr ausreicht, die aber noch genügend Strom für eine Großspeicherung speichern können.

Die Beschäftigten des südkoreanischen Technologiekonzerns Samsung haben den ersten Streik in der Firmengeschichte begonnen. Der Konzern blieb dabei gelassen. „Es gibt keine Auswirkungen auf die Produktion und die Geschäftstätigkeit“, teilte das Unternehmen mit. Bei Samsung laufen seit Januar Tarifverhandlungen, die Beschäftigten fordern höhere Löhne. Eine Einigung mit der Gewerkschaft ist bislang nicht in Sicht.