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Brandenburg-Berlin: Neues Wehrdienstmodell sieht Melde- und Fragebogenpflicht für junge Männer vor

Stand: 12.06.2024 11:17 Uhr

Verpflichtende Fragebögen, bis zu zwölf Monate Dienstzeit, Registrierung aller wehrfähigen Männer: Verteidigungsminister Pistorius stellte am Mittwoch sein Wehrpflichtmodell vor. Es stößt auf Lob, aber auch auf Kritik.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will am Mittwoch seine Pläne für eine neue Wehrpflicht vorstellen. Im Mittelpunkt soll die Registrierung aller Männer stehen, die für den Wehrdienst infrage kommen. Die entsprechenden Pläne wurden bereits vor der Pressekonferenz am Nachmittag angekündigt.

Diese Art der Rekrutierung läuft auf ein Fragebogenmodell hinaus. Die Bundeswehr könnte alle 18-Jährigen eines Jahrgangs anschreiben: Männer müssten antworten, für Frauen wäre es freiwillig. Im Fragebogen würde unter anderem abgefragt, ob sie sich vorstellen könnten, beim Militär zu dienen. Rund ein Zehntel eines Jahrgangs würde die Bundeswehr dann zur ärztlichen Untersuchung einladen. Diese, so die Idee, könnten dann selbst entscheiden, ob sie der Bundeswehr beitreten wollen.

Am Tag der Bundeswehr steigt ein Kind in ein Transportflugzeug vom Typ Airbus A400M. (Quelle: dpa-Bildfunk/Frank Hammerschmidt)

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Wehrdienstausbildung sechs bis zwölf Monate möglich

Der Dienst könne sechs bis zwölf Monate dauern. Der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) kritisiert das Modell. Personal müsse verlässlich für die Bundeswehr rekrutiert werden, sagte Bartels dem WDR. Mit einem Fragebogen werde das nicht funktionieren. Er fordert, alle jungen Männer zu untersuchen und dann freiwillig entscheiden zu lassen, ob sie Wehrdienst leisten wollen. Dafür fehle der Bundeswehr aber derzeit die Infrastruktur.

CDU/CSU-Fraktionsvize Johann Wadephul spricht sich für eine Dienstpflicht von einem Jahr für alle jungen Männer und Frauen aus, wie er im Morgenmagazin von ARD und ZDF erklärte. Sei es bei der Bundeswehr oder in anderen Hilfsorganisationen.

Personalstand der Bundeswehr auf niedrigstem Stand seit 2018

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, hatte zuvor in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur entschlossene Schritte gefordert. Die Personalstärke der Bundeswehr sei im Juni auf den niedrigsten Stand seit 2018 gesunken. Er hoffe, dass Verteidigungsminister Pistorius bei der Vorstellung seines für Mittwoch angekündigten Wehrdienstmodells an den geplanten Pflichtanteilen festhalte. „Mit der Freiwilligkeit allein wird es meiner Meinung nach nicht funktionieren“, sagte Oberst Wüstner.

Die Zahl der aktiven Soldaten liegt derzeit mit rund 181.000 aktiven Soldaten mehr als 20.000 unter dem vor dem Ukraine-Krieg gesetzten Ziel von 203.000. „Die nächsten Tage werden zeigen, bei wem seit der Erklärung des Äraendes tatsächlich zumindest verteidigungspolitisch ein Sinneswandel stattgefunden hat“, so Wüstner. Langfristiges Ziel sei, dass die Bundeswehr 460.000 Soldaten habe – 203.000 im stehenden Heer, der Rest in der Reserve.

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Schwedisch Rekrutierungsmodell für Deutschland denkbar

Die Wehrpflicht wurde in Deutschland 2011 nach 55 Jahren ausgesetzt. In der Praxis kam dies einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden praktisch alle für die Wehrpflicht erforderlichen Strukturen abgeschafft. Neben dem Personalmangel sind auch die für die Rekrutierung und Ausbildung erforderlichen Strukturen nicht mehr vorhanden – es fehlt beispielsweise an Kasernen, Ausbildern und Waffen. Die Kosten für 5.000 Wehrpflichtige könnten sich laut Verteidigungsminister auf 1,4 Milliarden Euro belaufen.

Das Gesetz sieht allerdings auch vor, dass die Wehrpflicht für Männer in Zeiten der Spannung oder der Verteidigung wieder eingeführt wird. Frauen ist es seit 2001 möglich, bei der Bundeswehr eine militärische Karriere zu verfolgen. Um Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen, müsste das Grundgesetz geändert werden.

Als Vorbild für Deutschland könnte das schwedische Modell dienen. Alle potentiellen Rekruten werden kontaktiert, nur ein Bruchteil geprüft und nur die Besten ausgewählt. Pistorius hatte dieses Modell bei einem Skandinavien-Besuch im März für „besonders geeignet“ befunden. Generalinspekteur Carsten Breuer sieht das genauso. Für ihn bietet das schwedische Modell viel Flexibilität.

Lettland führt 2024 die Wehrpflicht wieder ein

Die meisten europäischen Länder haben die Wehrpflicht abgeschafft oder ausgesetzt, darunter Deutschland (2011), Italien (2005), Spanien (2002) und Frankreich (1997).

In der EU gibt es in 8 von 27 Ländern noch die Wehrpflicht (Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Litauen, Österreich, Schweden, Zypern). Dänemark ist ein Sonderfall, weil dort Wehrpflichtige nur einberufen werden, wenn sich nicht genügend Freiwillige melden. Lettland führt die Wehrpflicht ab 2024 wieder ein.

Von den 51 Ländern, die geographisch zum Europa gezählt werden, besteht in insgesamt 19 Ländern eine Wehrpflicht (die acht EU-Länder sowie Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, Kasachstan, Moldawien, Norwegen, Russland, die Schweiz, die Türkei und die Ukraine).

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.06.2024, 10:02 Uhr