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„Der Schatten des Kommandanten“: Das Erbe von Rudolf Höß

Diesen Film muss man gesehen haben: Der Schatten des Kommandanten von Daniela Völker (ab 13. Juni im Kino) ist eine überzeugende Ergänzung zu Jonathan Glazers oscarprämiertem Spielfilm Die Zone von Interesse über das Privatleben des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, seiner Frau Hedwig und ihrer fünf Kinder, die in einer Villa mit großem Garten neben dem NS-Vernichtungslager aufwuchsen – nur durch eine Mauer von der Mordmaschinerie getrennt. Doch anders als Glazer drehte Völker in der Originalvilla.

Und während der britische Regisseur das Grauen nur im Soundtrack hörbar macht, bringt die Dokumentation Menschen zusammen, die auf beiden Seiten der Mauer lebten oder überlebten: die Jüdin Anita Lasker-Wallfisch (98), die sich als Cellistin im Lagerorchester retten konnte, und das zweitjüngste Kind des Auschwitz-Kommandanten, Hans Jürgen Höss (87). Und den Enkel Kai Höss (62), der Pfarrer einer Freikirche in Stuttgart wurde. Maya Lasker-Wallfisch (66), die als Therapeutin und Autorin arbeitet, hat das Treffen arrangiert. Es findet im Wohnzimmer ihrer Mutter Anita in London statt, bei Kaffee und Kuchen.

Versöhnungskitsch? Mitnichten

Versöhnungskitsch? Mitnichten. Die Protagonisten haben einen glaubwürdigen Weg zurückgelegt und stellen sich im Film ihren Traumata – bis auf Höß‘ Tochter Ingebrigitt, die inzwischen verstorben ist. Als Klammer dient die Autobiografie des 1947 hingerichteten Rudolf Höß, der in Kommandant in Auschwitz den Massenmord an Juden auf schonungslose Weise beschrieb. Hans Jürgen Höß, der eine „schöne Kindheit“ in seiner Erinnerung gespeichert hatte – er meint, das Buch nie besessen zu haben –, liest nun diese Autobiografie, reist nach Auschwitz und stellt sich dem, was sein Vater in seinen eigenen Worten „getan“ hat.

Der Enkel Kai Höss hingegen beschäftigt sich mit der Thora-Passage, wonach Gott „die Sünden der Väter an den Kindern bis in die dritte und vierte Generation bestrafen“ werde. Doch Jesus, davon ist Höss überzeugt, könne den Fluch brechen. Anita Lasker-Wallfisch kann mit ihrem grimmigen Humor zwar keinen Vorteil darin erkennen, zum „auserwählten Volk“ zu gehören – doch auch dieser Spannung hält der von Yad Vashem als außergewöhnliche Holocaust-Dokumentation ausgezeichnete Film stand.

Die Hoffnung, die der Film vermittelt, ist notwendiger denn je. Auf die Frage, wie sie ihre Entscheidung, nach dem 7. Oktober nach Berlin zu ziehen, empfinde, sagte Maya Lasker-Wallfisch nach einer Filmvorführung am Montag: „Ich habe auch dunkle Tage. Aber ich bereue es nicht.“