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Glück kann man nicht erzwingen

Bei einem Nestroy, wie er in Reichenau zu erwarten ist, muss ein Zauberstück gelingen: Es muss eine solche Energie zwischen Bühne und Publikum herrschen, dass die Menschen gleichzeitig lachen, denken und fühlen. Damit sind wir beim Kern des österreichischen Theaters angelangt, das Humor und heimische Lebensweisheiten vereint.

Robert Meyer hat das natürlich im kleinen Finger, er balanciert als betrunkener Schuster auf dem schmalen Grat zwischen Zärtlichkeit und Verzweiflung, wie wir es alle in diesem Land versuchen. Sein Knieriem hat den Kopf in den Sternen und verbirgt seine Weichherzigkeit nur unzureichend im Schnapsglas. Er ist für die Welt verloren, und die Welt ist daran schuld.

Der zweite große Trumpf der Inszenierung ist die von Christof Cremer gestaltete Zauberkiste auf der Bühne: Aus einem mannshohen Kubus werden die Bühnenbilder gedreht und ausgeklappt, so dass man bei jeder Bühnenverwandlung fasziniert und amüsiert ist, ein exemplarisches Stück Sommertheater-Bühnenkunst, das mit wenigen Mitteln Großes vollbringt.

So geht es zunächst zum Branntweinmacher und nur wenige Runden später, wenn die drei Gesellen endlich ihr Glück gefunden haben, zum auf Lehmfüßen erbauten Schneiderschloss im Sonnenkönigslook. Zuvor spielt sich die Geschichte der drei Verlierer ab, auf deren Glück die Zauberwesen gewettet haben.

In Reichenau erwartet man klassisches Theaterhandwerk – und bekommt es auch: Hier gibt es keine Witze, nur Bonmots, hier gibt es keine Performance, nur Schauspiel. Wenn man in seinem eigenen Festival-Kerngebiet arbeitet, lastet natürlich ein gewisser Druck auf einer Produktion: Dafür kommt das Publikum – oder eben nicht.

Und am Ende – ohne „Happy“ vorab und nach zwei Stunden ganz unvermittelt – fährt man mit dem Gefühl in die Nacht hinaus, dieser Druck war vielleicht doch zu groß für das gar nicht so riesige Festspielhaus. Jede Nestroy-Kanone feuerte aus allen Läufen, es gab laute Momente und komische Momente und skurrile Momente, es gab Pointen über Wein und, Entschuldigung, Weib und Gesang, es gab Couplets – das eigentlich nur bedingt originelle Hauptthema Benkos entwickelt sich hier offenbar zum Sommerhit – und Klamauk, wie man das zu Nestroys Zeiten auch immer nannte.

Doch das alles wollte nicht zu einem Nestroy-Ganzen zusammenpassen. Zu sehr fühlte es sich an wie Nestroys Broadway, Pointen folgten schnell und etwas zu laut und zu einladend mit einer Schau-hier-Attitüde auf Pantomimen und Applaussucher folgten auf großzügig servierte Leckerbissen.

Vielleicht muss man sein Theatersensorium erst einmal auf den Sommer umstellen, vielleicht findet das Ensemble in den kommenden Wochen in Reichenau nach dem Premierenstress einen gemeinsamen Ton, der vom Grenzland ins Unerhörte übergeht. Florian Caroves Faden war bei der Premiere allerdings eher ein lässiger Lausbub als ein Kleeblatt, um dessen Schicksal man sich sorgte; und Thomas Franks Leim ließ bei seiner Reise durch Liebesschmerz und Liebesglück wichtige Zwischentöne auf der Strecke.

Insgesamt sind sie natürlich leichtes Spiel für den Lausbuben, der – als „Mephisto“ verkleidet – an entscheidenden Stellen die Handlung zu seinen Gunsten beeinflusst. Sebastian Wendelin spielt ihn als sarkastischen Puppenspieler, der das Elend gleichsam von oben herab betrachtet. Das Ensemble – darunter auch Brigitte Kren – spielte mehrere Rollen, und die Musik von Helmut Thomas Stippich untermalte das Handwerkerthema mit allerlei bekannten Melodien.

Am Ende kriegt es keiner so richtig auf die Reihe, und es ist eigentlich auch egal, wie lange die Welt besteht: Man hat gerade einen anderen Nestroy gesehen, es war nicht der beste, nicht der schlechteste, aber vielleicht einer von denen, von denen man zu Recht mehr erwartet hätte.