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„Graue Wölfe“ und Nationalismus: Rechtsextremisten und Rassisten nutzen Fußball-EM als Bühne

„Graue Wölfe“ und Nationalismus

Rechtsextreme und Rassisten nutzen Fußball-EM als Bühne


Do 04.07.24 | 19:41 | Ab Efthymis Angeloudis

Merih Demiral zeigt am 2. Juli 2024 den Wolfsgruß. (Quelle: picture alliance/AP/E.Noroozi)

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Audio: radio3 | 03.07.2024 | Susanne Papawassiliu im Gespräch mit Burak Yilmaz | Bild: picture alliance/AP/E.Noroozi

Rechtsextremisten und Rassisten sehen in der „Sommermärchen-EM“ zunehmend eine Möglichkeit, ihre Ideologie und ihre Symbole zu normalisieren. Der Gruß der „Grauen Wölfe“ ist dabei nur die jüngste Inszenierung. Von Efthymis Angeloudis

Es läuft die 59. Minute der Partie Türkei gegen Österreich in Leipzig. Nach einer Ecke dringt der türkische Abwehrspieler Merih Demiral in den Strafraum ein, springt hoch in die Luft und erzielt mit einem wuchtigen Kopfball das 2:0. Der Jubel auf dem Platz und auf den Rängen ist groß. Demiral läuft auf die türkischen Fans zu, reißt die Arme in die Höhe und zeigt im Leipziger Stadion den sogenannten Wolfsgruß, das Symbol der rechtsextremen „Grauen Wölfe“.

„Die Art, wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun“, erklärte Demiral nach dem Spiel. „Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz, Türke zu sein, und das ist die Bedeutung dieser Geste.“

Doch nicht alle glauben ihm. Dass Demiral den Wolfsgruß mit seiner Identität zu begründen versucht, bezeichnet der Pädagoge und Autor Burak Yilmaz als verharmlosend. „Wenn er sagt, das ist ein Zeichen der Türken, dann muss man ihn korrigieren und sagen: Nein, das ist ein Zeichen der Faschisten“, sagt er im Interview mit rbb Radio 3.

„Faschistische Solidarität“

Demirals Unwissenheit könne nicht als Argument dienen, sagt Yilmaz. Der Gruß sei ein politisches Statement. Demiral wolle klarstellen, wo er stehe. „Wenn er sagt, die Fans auf der Tribüne hätten ihm schon den Gruß gezeigt und er habe ihn erwidert, dann ist das faschistische Brudersolidarität“, entgegnet der Autor.

Yilmaz hat lange über die „Grauen Wölfe“ geforscht, wie die Anhänger der rechtsextremen „Ülkücü-Bewegung“ genannt werden. In Deutschland wird die Bewegung vom Verfassungsschutz beobachtet. In der Türkei ist die ultranationalistische MHP ihre politische Vertretung und sogar Verbündeter der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Fußball als Möglichkeit, neue Fans zu gewinnen

In der Ideologie der „Grauen Wölfe“ gilt das Türkentum als überlegen, vor allem im Vergleich zu Armeniern, Griechen, Kurden und Juden. Besonders auffallend sind ihre expansionistischen Vorstellungen. Ihrer Ansicht nach haben die Türken Anspruch auf ein Gebiet vom Balkan bis nach China. „Und deshalb ist es richtig, diese Bewegung als rechtsextrem einzustufen, denn diese Ideologie basiert auf Rassismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit“, sagt Yilmaz.

Für die „Grauen Wölfe“ ist Fußball eine Möglichkeit, neue Anhänger zu gewinnen, vor allem weil sich so viele junge Menschen für Fußball interessieren. „Sie sprechen vor allem junge Menschen im Alter von 12 bis 16 Jahren an, die noch auf der Suche nach ihrer Rolle in der Gesellschaft sind, bauen Kontakte zu ihnen auf. Dabei geht es darum, ihre Konzepte zu normalisieren, ihre Symbole zu normalisieren, und dafür ist Fußball ein Geschenk des Himmels“, erklärt Yilmaz die Bemühungen der „Ülkücü-Bewegung“.

Archivbild: Mirlind Daku ruft bei der Europameisterschaft 2024 am 19. Juni 2024 Parolen durch ein Mikrofon. (Quelle: imago images/S.Mikhailichenko)Die albanische Fußballnationalspielerin Mirlind Daku

„Wolfsgruß“ nur einer von vielen Vorfällen

Doch der „Wolfsgruß“ ist bei weitem nicht der einzige rechtsextreme Skandal bei dieser EM: Mehrfach sorgten Spieler und Fans mit nationalistischen Bannern und rechtsextremen Parolen für Aufsehen. [Deutschlandfunk].

Der serbische Fußballverband beklagte, dass es während des Vorrundenspiels der Fußball-Europameisterschaft in der Gruppe B zwischen Kroatien und Albanien in Hamburg zu Sprechchören und Sprechgesängen beider Fangruppen mit dem Text gekommen sei: „Tötet, tötet, tötet die Serben!“ Der serbische Verband wiederum wurde mit einer Geldstrafe belegt, nachdem Fans eine Flagge mit einer Landkarte Serbiens – einschließlich des seit 2008 unabhängigen Kosovo – gezeigt hatten.

Der albanische Fußballnationalspieler Mirlind Daku wurde für zwei Spiele bei der Europameisterschaft gesperrt, nachdem er vor den albanischen Fans im Hamburger Volksparkstadion mit einem Megafon nationalistische Sprechchöre angeführt hatte.

Vor und während des Spiels gegen Deutschland in Stuttgart zeigten ungarische Fans ein Banner mit der Aufschrift „Free Gigi“ und sangen das Lied „L‘ amour toujours“, das mittlerweile als rechtsextremistisches Codewort gilt. In Deutschland wurde es in jüngster Zeit bei zahlreichen Vorfällen mit verfassungsfeindlichen Parolen untermalt und sorgte auf Sylt für große Aufmerksamkeit. Aber auch deutsche Fans verübten rechtsextremistische Vorfälle, allerdings außerhalb der Stadien.

Politische Interpretationskämpfe im Stadion

Es gab im Vorfeld Warnungen, die EM könne als Bühne für derartige Zwecke missbraucht werden. Fußball ist in fast allen europäischen Ländern die wichtigste Sportart. „Deswegen ist die EM eine ideale Gelegenheit, sich politische Deutungsschlachten zu liefern oder die Spiele als Bühne zu nutzen“, erklärt Fanforscher Jonas Gabler im Gespräch mit dem rbb.

„Generell kann man sagen, dass sich gesellschaftliche Entwicklungen natürlich auch im Fußball widerspiegeln“, erklärt Gabler im rbb Radio 3. „Wenn in vielen europäischen Ländern bei der Europawahl rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien an Zulauf gewinnen, dann kann man davon ausgehen, dass sich dies auch in gewissem Maße im Fußball widerspiegelt.“

Länderspiele und insbesondere Europameisterschaften können als Bühne für rechtsextremistische Zwecke genutzt werden. Die hochemotionale Atmosphäre eignet sich zudem zur Werbung neuer Anhänger.

Harte Konsequenzen für Demiral oder sogar Verbot der „Grauen Wölfe“

„Bei einer Europameisterschaft klappt das gut“, sagt Gabler. Denn dort sei es normal, mit Bannern und Symbolen zu arbeiten. „Dann geht das vielleicht manchmal unter und wird unter Patriotismus abgeheftet. Aber in Wirklichkeit geht es darum, wirklich nationalistische, rechtsextreme Symbole öffentlich und damit vor einer großen Bühne zeigen zu können.“

Umso wichtiger sei es, nicht nur den Gruß der „Grauen Wölfe“ zu kriminalisieren, sondern auch die Vereine der „Grauen Wölfe“ zu verbieten, sagt Yilmaz. „Und vor allem wünsche ich mir harte Konsequenzen von der UEFA im Fall Demiral.“

Letztlich sei es paradox, wenn die UEFA Werbebanner mit der Aufschrift „Nein zu Rassismus“ aufhänge, während jemand auf dem Platz den faschistischen Gruß mache, sagt der Autor und Pädagoge. „Wenn das keine Konsequenzen hat und die Person trotzdem spielen darf, macht sich die UEFA schlicht unglaubwürdig.“

Die UEFA untersucht derzeit den Fall Demiral. Unklar ist, ob der „Wolfsgruß“ oder gar die „Grauen Wölfe“ in Deutschland verboten werden sollen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat einem Verbotsantrag bislang nicht zugestimmt. [fr.de].

Sendung: Radio 3, 03.07.2024, 16:30

Beitrag von Efthymis Angeloudis