Seit zehn Jahren heißt es „Deutschland sucht einen Superstar“ in leicht abgewandelter Form. Zumindest, was den Deutschen Fußball-Bund (DFB) betrifft. Seit dem Karriereende von Miroslav Klose nach der erfolgreichen WM 2014 in Brasilien heißt es nämlich: „Deutschland sucht einen Superstürmer“. Nachdem der Rekordtorschütze der deutschen Mannschaft (mit 71 Toren übertraf er den legendären Gerd Müller um drei Treffer) und erfolgreichste Stürmer bei Weltmeisterschaften (seit seinem Treffer zum 2:0 im epischen 7:1-Halbfinale gegen den Rekordweltmeister steht er mit 16 Toren an der Spitze) nach Deutschlands viertem WM-Titel seinen Rücktritt bekannt gab, suchten Joachim Löw, sein Nachfolger Hans-Dieter Flick und nun Julian Nagelsmann nach einem Torjäger wie Müller, Klose oder Joachim Streich – und haben nicht wirklich jemanden gefunden.
Trotz vereinzelter Lichtblicke blieben die Versuche mit Mario Gomez und Mario Götze, Thomas Müller und Timo Werner, Serge Gnabry und Kai Havertz allesamt erfolglos. Als kurz vor der WM 2022 mit Niclas Füllkrug ein Nachzügler die Lücke im Angriff schließen sollte, wurde das Dilemma auch für Außenstehende sichtbar.
44 Jugend-Länderspiele für Kevin Volland, doch dann kam der 1. FC Union
Auch Kevin Volland war zum Casting eingeladen, das lange vor Kloses Karriereende begann. Trotz aller Höhen und Tiefen glaubte er, auf dem richtigen Weg zu sein. Der schien nahtlos von den Nachwuchsteams des DFB, für die er 44 Mal auflief, ganz nach oben zu führen, in die Mannschaft um Kapitän Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger, Manuel Neuer und Mats Hummels, Sami Khedira und Toni Kroos.
Fünf Wochen vor dem ersten WM-Spiel Deutschlands in Brasilien hatte er das vorläufige Ziel seiner Wünsche und Träume erreicht: sein erstes A-Länderspiel, auch wenn es beim 0:0 gegen Polen in Hamburg keinen Sieg und kein Tor gab. Das Wichtigste aber hatte er mit nicht einmal 22 Jahren geschafft: Er gehörte zum erweiterten Kader für das Turnier am Zuckerhut.
Dass es nicht zur Teilnahme gereicht hat, ist schon eine ziemliche Enttäuschung. Aber irgendwie ist es auch verständlich. Die Mannschaft war über die Jahre gewachsen. Die Spieler kannten sich in- und auswendig. Sie hatten gut zusammengearbeitet. Die Automatismen funktionierten einwandfrei. Gleichzeitig ist die Einladung für den jungen Angreifer eine Motivation, noch mehr aus seinem Talent zu machen, zielstrebiger, professioneller zu werden und die sich bietenden Chancen zu nutzen. Vor allem aber bedeutet es auch, Stabilität im Wettbewerb zu gewinnen. Bessere Argumente fürs Toreschießen kann ein Angreifer letztlich aber nicht liefern.
Kevin Volland stürmt in die Rekordbücher – aber nicht mit dem 1. FC Union
Nachdem er 2012 vom damaligen Zweitligisten 1860 München zunächst zur TSG Hoffenheim und vier Jahre später zu Bayer Leverkusen gewechselt war, lief es für ihn in der Bundesliga mal gut, mal nicht so gut. Da war eine Serie von acht Spielen bei der TSG ohne Tor, dann drei Tore in zwei Spielen, dann sieben Spiele ohne Tor. Mal erzielte er für Hoffenheim in zwei Spielen in Folge einen Doppelpack, in den folgenden 14 Spielen ging er jedoch leer aus. Es ging kurz rauf, dann aber schnell wieder runter. Die angestrebte Stabilität war erst im Ansatz erkennbar.
Die Bilanz kann sich noch immer sehen lassen. 33 Tore in 132 Spielen im Kraichgau, 44 in 115 Spielen für Bayer. Eine deutliche Steigerung. Mit einem besonderen Tor trug er sich sogar in die Rekordbücher der deutschen Erstliga ein. Am 22. August 2015 erzielte er für Hoffenheim nach nur neun Sekunden die Führung gegen Bayern München.
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Auch wenn die Partie nach späten Toren von Thomas Müller und Robert Lewandowski mit 1:2 verloren ging, egalisierte Volland den Rekord für das schnellste Tor in einem Bundesligaspiel, den Karim Bellarabi ein Jahr zuvor für Bayer Leverkusen aufgestellt hatte. Neun Sekunden – fast ein Wimpernschlag. Nicht einmal Usain Bolt lief die 100 Meter so schnell.
Die EM 2021 dauert für Volland zehn Minuten
Doch seine Karriere in der Nationalmannschaft stagnierte. Nach dem WM-Triumph und Kloses Karriereende war er daran gehindert, für die U21-Mannschaft auflaufen zu dürfen. In den 19 Länderspielen zwischen dem 1:0 in Rio de Janeiro gegen Argentinien und dem Auftakt der EM 2016 in Frankreich stand er zwar neunmal im Kader, kam aber nur bei fünf davon zum Einsatz. Im Herbst 2015 spielte er beim 0:1 gegen Irland und beim 0:2 gegen Frankreich nur jeweils sechs Minuten, im darauffolgenden Frühjahr beim 4:1 gegen Italien sogar nur fünf. Das ist für einen mit seinen Ansprüchen viel zu wenig. Die bittere Nachricht von Bundestrainer Joachim Löw kurz vor der EM 2016 lautete deshalb dieselbe wie zwei Jahre zuvor: Kevin Volland fällt aus.
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Im Herbst folgten vier weitere Spiele voller Hoffnung, auch weil er beim 8:0 gegen San Marino sein erstes Länderspieltor erzielte. Es blieb das einzige, denn danach war wieder Ebbe. Viereinhalb Jahre – nichts! Dann wieder ein Aufflammen, denn Volland zeigte in der Saison 2020/21, seiner ersten für die AS Monaco, die Qualitäten eines Torjägers. In der Ligue 1 erzielte er in 35 Ligaspielen 16 Tore und gab acht Vorlagen. Eine Quote im Land des Weltmeisters, die vielversprechend ist und ihn nach zwei Enttäuschungen endlich, endlich zu einem großen Turnier führt.
Doch die EM 2021 wird sowohl für das DFB-Team als auch für ihn die dritte große Bittererfahrung. In den vier Turnierspielen darf Volland nur zehn Minuten auf dem Platz stehen, zwei bei der 0:1-Niederlage gegen Frankreich und acht beim 2:2 gegen Ungarn. Der Rest ist vergessen, nicht zuletzt, weil nach Jahren der Unverwundbarkeit Blessuren wie ein verstauchter Knöchel, eine Rippenprellung und ein Rippenbruch auftauchen.
Saison beim 1. FC Union mit Höhen und Tiefen
Bis August letzten Jahres mit der Umstellung auf 1. FC Union Die Hoffnung keimt auf. Bei „Deutschland sucht Stürmerstar“ herrscht noch immer Pattsituation. Mit gerade einmal 16 Toren hat sich Niclas Füllkrug zum Torschützenkönig entwickelt und ist noch immer die Nummer 1 im Angriff. Eine Hürde, die Volland für lösbar hält. Zumal er in Köpenick in der Champions League auftrumpfen kann. Beste Voraussetzungen also, um sich für die Heim-EM zu empfehlen, zumal selbst Stürmerkollege Kevin Behrens, der bis dahin einen deutlich steinigeren Weg zu bewältigen hatte, den Sprung ins A-Team schaffte.
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Doch bei den Rot-Weißen aus dem Südosten Berlins ging es für Volland bisher eher bergab als bergauf. Seinem ersten Bundesliga-Tor für die Eisernen, mit dem er das 1:1 gegen Augsburg, eine massive Niederlagenserie von neun Spielen, beendete, folgte kurz darauf ein Glanztreffer gegen Real Madrid in Europas Königsklasse. Nach fast einem halben Jahr scheint Volland angekommen zu sein. Doch es gab auch zwei Platzverweise, einen weiteren Einbruch mit 16 Spielen ohne Torerfolg und gegen Freiburg im letzten Saisonspiel ein verschossener Elfmeter, der die Köpenicker fast in die Relegation gezwungen hätte. Für Volland war das alles andere als eine Bewerbung.
Mit 31 Jahren hätte es seine letzte Chance sein können, seine Klasse bei einem großen Turnier zu beweisen. Nun muss er eingestehen: Es ist wohl das Ende eines Traums. ■