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Le Pen am Ziel?: Macron droht mit Kohabitation

In der ersten Runde der französischen Parlamentswahl hatten der RN und seine Verbündeten mit einem Drittel der Stimmen den ersten Platz belegt. Dahinter landete das Linksbündnis Nouveau Front populaire (NFP), eine Koalition aus Linken und Grünen unter Führung von Jean-Luc Mélenchon. Macrons Bündnis Ensemble rutschte auf den dritten Platz ab.

Wie das Ergebnis im zweiten Wahlgang am Sonntag ausfallen wird, ist unklar. Nicht zuletzt wegen des Mehrheitswahlrechts sind Prognosen schwierig. RN-Chef Jordan Bardella stellte bereits klar, dass er nur dann Premier werden wolle, wenn er über eine absolute Mehrheit verfügt. Die frühere RN-Parteichefin Marine Le Pen zeigte sich flexibler und kündigte an, sie werde auf andere Parteien zugehen, wenn sie nur über eine relative Mehrheit verfüge.

Macron denkt über Kohabitationsszenario nach

Für eine „absolute“ Mehrheit wären 289 von 577 Sitzen nötig. Dieser Fall der Kohabitation, bei der Präsident und Premierminister aus unterschiedlichen Parteien kommen, würde zu einem deutlichen Machtverlust für Macron führen. Le Pens Weg zur Präsidentschaftswahl 2027 wäre leichter.

Macron will das verhindern. Berichten zufolge bereitet sich der französische Präsident bereits auf das Cohabitations-Szenario vor. „Er glaubt, dass er ihnen (dem RN, Anm. d. Red.) heute die Hälfte der Macht geben wird, um zu verhindern, dass sie in drei Jahren (bei den Präsidentschaftswahlen, Anm. d. Red.) die ganze Macht haben“, zitiert Le Monde einen Macron-Vertrauten.

Emmanuel Macrons Wahl

IMAGO/MAXPPP/Johan Ben Azzouz

Nach dem ersten Wahlgang rief Macron zu einem breiten Bündnis gegen den rechtspopulistischen RN auf

Zugleich hatte der Präsident noch am Abend des ersten Wahlgangs am vergangenen Sonntag zu einem „breiten, demokratischen und republikanischen Bündnis“ gegen den RN aufgerufen. Vor dem zweiten Wahlgang hatte sich tatsächlich ein lagerübergreifendes Zweckbündnis gebildet, um eine absolute Mehrheit der Rechtspopulisten zu verhindern. Lokalen Medien zufolge zogen bis zu 218 Kandidaten ihre Kandidatur zurück, um die Siegchancen besser platzierter Gegner des RN in den Wahlkreisen zu erhöhen.

Umverteilung der Macht erwartet

Im Falle einer Kohabitation käme es zu einer Neuverteilung der Macht. Macron wäre hauptverantwortlich für die Außen- und Verteidigungspolitik und könnte als Präsident einmal jährlich die Nationalversammlung, das Unterhaus des französischen Parlaments, auflösen. Im Falle einer „ernsthaften und unmittelbaren“ Bedrohung der Institutionen und der territorialen Integrität könne Macron „außerordentliche Vollmachten übernehmen“.

Die innenpolitische Agenda wie Wirtschaftspolitik, Haushalt und Einwanderung liegt in den Händen des Premierministers. Im Falle der Cohabitation liege die Macht „klar in der Beziehung zwischen dem Premierminister und der Nationalversammlung“, sagte der französische Anwalt Dominique Rousseau gegenüber Le Monde.

Bisher drei Zusammenleben in Frankreich

Dreimal kam es bereits zu Kohabitationen: Der sozialistische Präsident Francois Mitterrand regierte von 1986 bis 1988 mit dem konservativen Premier Jacques Chirac und von 1993 bis 1995 mit dem ebenso konservativen Edouard Balladur. Chirac als Präsident regierte von 1997 bis 2002 mit dem Sozialisten Lionel Jospin.

Die Kombination Chirac-Jospin war zeitweise holprig. Trotz seines Widerstandes konnte Chirac die von Jospin eingeführte 35-Stunden-Woche nicht verhindern. Jospin wiederum verbrachte einen Großteil seiner Regierungszeit unter dem Damoklesschwert, dass Chirac die Nationalversammlung jederzeit auflösen könnte.

Archivfoto von Jacques Chirac und Lionel Jospin aus dem Jahr 2001

Reuters/Regis Duvignau

Das Zusammenleben von Chirac (li.) und Jospin (re.) verlief nicht immer reibungslos

Es fehlt an einem grundlegenden Konsens

Allerdings herrschte in den bisherigen Kohabitationsrunden mit zentristischen Kandidaten ein grundsätzlicher Konsens über Europa und die Verfassung. Das dürfte im Fall Macron und Bardella anders sein. Vor allem bei außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen spielen auch Haushaltsfragen eine Rolle, die zwischen Präsident und Premier aufgeteilt werden. Große Uneinigkeit herrscht zwischen Macron und Bardella etwa bei Themen wie dem Krieg in der Ukraine und der Rolle der EU.

Im Jahr 2000 wurde im Rahmen einer Verfassungsänderung die Amtszeit des Präsidenten von sieben auf fünf Jahre verkürzt. Dies hatte zur Folge, dass Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im selben Jahr stattfanden, was das Kohabitationsmodell weniger wahrscheinlich machte. Mit Macrons Vorstoß, die Parlamentswahlen vorzuziehen, ist die Kohabitation wieder wahrscheinlicher geworden.

Ad-hoc-Allianzen bei unklaren Mehrheitsverhältnissen

Ohne die absolute Mehrheit eines der Lager stünden Frankreich langwierige Koalitionsverhandlungen bevor. Eine mögliche Alternative wäre eine Übergangsregierung mit Technokraten. Das würde für Frankreich aber einen Stillstand bedeuten, da ohne Mehrheit kaum über neue Projekte entschieden werden könnte. Ministerpräsident Attal schlug vor, dass sich bei unklaren Mehrheitsverhältnissen Konservative, Linke und die Zentrumsparteien zu Ad-hoc-Allianzen zusammenschließen, um in der Nationalversammlung über einzelne Gesetzesentwürfe abzustimmen.