Leichtathletik-EM: Mumenthaler holt Gold, Reais Bronze

Gold und Bronze – auch die Sprinter glänzen

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Nur Super Samstag mit beispiellosen vier Medaillenjetzt ein magischer Montag mit einer Europameisterin, einer Europameisterin und einer Bronze-Gewinnerin: Was die Schweizer Leichtathletik derzeit in Rom erlebt, übersteigt alle Vorstellungen, alle Erwartungen und jedenfalls die bisherigen Bestwerte.

Es war noch keine Stunde vergangen, seitdem Angelica Mosers Goldgewinn im Stabhochsprung, als der 200-m-Sprint der Männer am späten Montagabend seinen sensationellen Sieger hatte. Der junge Timothé Mumenthaler flog auf der äußersten Bahn 9 ins Ziel. „Mir wurde erst klar, dass ich Italiens Favoriten Tortu geschlagen hatte“, sollte er später sagen.

Mit ihren Siegen holten Moser und Mumenthaler an diesem ereignisreichen Abend die EM-Titel Nummer 10 und 11 für die Schweiz. Sie ist 26 und etabliert, er erst 21 – und der Europameister aus dem Nichts.

Mit einem solchen Triumph hätte niemand gerechnet, nicht einmal die Trainer und Betreuer um ihn herum. Sie sahen in ihm ein Juwel, das allerdings noch nicht geschliffen genug war. Der 21-Jährige bewies das Gegenteil, stürmte in 20,28 Sekunden ins Ziel und besiegte damit auch seinen vier Jahre älteren und deutlich erfahreneren Teamkollegen William Reais (20,47).

Und dann standen die beiden Schweizer unten auf der Strecke, schauten sich verwundert an, wussten nicht so recht, was gerade passiert war. Mumenthaler war Europameister bei seiner ersten EM überhaupt in der Elite, Reais Bronzemedaillengewinner nach Jahren des Auf und Ab mit zahlreichen Verletzungen. Die Schweiz holte an diesem vierten EM-Abend die Medaillen 5, 6 und 7 – so viele wie noch nie zuvor. Und über allem die Frage: Wer ist dieser Mumenthaler?

Überraschendes Erfolgsduo: Timothé Mumenthaler (links) und William Reais können es kaum fassen.

Natürlich hatte der Genfer aus dem Vorort Bernex-Confignon in der Romandie schon länger für Aufsehen gesorgt. Im vergangenen Jahr holte er an der U23-EM in Finnland Bronze, im Mai lief er in St. Gallen mit 20,35 eine persönliche Bestzeit. Aber Gold bei der Elite? „Nein, damit habe ich nie gerechnet“, gestand er und sprach dabei so schnell Französisch wie er sprintet. Eine Medaille, ja, „das muss das Ziel jedes Finalisten sein“, sagte er. Und dann entschuldigte er sich zum zweiten Mal, ihm fielen kaum Worte ein, um seinen Coup zu beschreiben.

«Ich musste diesen Job machen»

Nicht nur im Ziel fiel Mumenthaler auf. Schon als er durch den abgedunkelten Gang das Stadion betrat, verhielt sich etwas anders als die anderen. Erst hob er die rechte Hand ans Ohr, als würde er telefonieren, dann kritzelte er etwas in die Luft und hob dann offenbar etwas auf. Erst dann machte er sich auf den Weg zum Startblock.

Der junge Mann, der wie so viele aus dem Schweizer Team im UBS Kids Cup aufgewachsen ist und Ingenieurwissenschaften studiert, liebt es, Menschen zu begeistern. So beschreibt er es zumindest. Die Sache mit dem Telefon – „Ich habe ihnen Bescheid gesagt, dass ich bei der Arbeit bin. Ich muss diesen Job machen – und voilà! Job erledigt!“

Dass er das mit gerade einmal 21 Jahren geschafft hat: „Ich glaube, das macht mich am glücklichsten“, sagt Mumenthaler. Dass ihm diese Gabe des Speedrunnings gegeben wurde und er etwas daraus gemacht hat. „Ich hoffe, dass das junge Leute inspiriert.“

Mumenthaler wird im Stade Genève von Kevin Widmer trainiert, dem vorletzten Schweizer Rekordhalter über 200 m. Nun wurde er von seinem Schützling überholt – den 20,41 des Trainers stehen nun die 20,28 des neuen Europameisters gegenüber. Mumenthaler sagt: „Ich habe mir keinen Druck gemacht, es ist meine erste Europameisterschaft, und nervös war ich auch nicht. Wer erfolgreich sein will, muss ruhig bleiben.“ Weise Worte eines Athleten, der noch nicht sehr erfahren, aber schon sehr erfolgreich ist.

Sprint-Bundestrainer Patrick Saile half ihm in den Minuten vor dem Start entscheidend. „Er hat mir ein Video gezeigt, auf dem eine Gazelle vor einem Geparden flüchtet“, erzählt er. Saile habe ihm erklärt, dass er jetzt die Gazelle da draußen auf der Bahn 9 sei: „Ich hatte das im Kopf und dass ich jetzt vor den Geparden flüchten muss, damit sie mich nicht fressen. Das habe ich geschafft.“

Letztmals qualifizierten sich 1969 zwei Schweizer für ein 200-m-Finale. Philippe Clerc wurde mit 20,6 Sekunden (noch immer Handzeit) zugleich Europameister, Hansruedi Widmer kam mit 21,1 Sekunden auf den sechsten Platz.

Am Montagabend schien es fast so, als seien selbst die älteren Athleten beeindruckt, wie unbeschwert und konzentriert er die Hälfte der Strecke absolvierte. Als gäbe es keine Meisterschaften mehr. Zum Feiern war der Abend allerdings nicht da, denn am Dienstagnachmittag sind Mumenthaler und Reais wieder mit der Staffel im Einsatz. Vorrunde, Finale und dann?

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