Neuer niedergemacht? „Typisch deutsch“ – Kult-Torhüter stellt klar
Sepp Maier war der große Rückhalt der deutschen WM-Mannschaft 1974. Er erinnert sich an ein besonderes Turnier unter besonderen Umständen.
Am 7. Juli 1974 wurde Deutschland im Münchner Olympiastadion auf heimischem Boden Weltmeister. Zwischen den Pfosten der DFB-Auswahl stand damals der legendäre Torhüter Sepp Maier.
50 Jahre nach dem Coup vor heimischem Publikum erinnert sich „The Cat of Anzing“ an ein besonderes Turnier.
SPORT1: Herr Maier, Sie sind 1974 Weltmeister geworden. Das Ganze jährt sich nun zum 50. Mal. Haben Sie noch Lust, davon zu erzählen?
Sepp Maier: Es ist immer wieder schön, sich an die tolle Zeit zu erinnern, die wir damals hatten. Und das waren wirklich tolle Zeiten, die 70er und 80er Jahre.
SPORT1: Was ist Ihr erster Gedanke, wenn Sie an 1974 denken? Ist es der Elfmeter, den Sie verschossen haben?
Maier: Ok, ich hätte den Elfmeter gehalten, wenn Neeskens den Ball richtig getroffen hätte. Er trifft auf den Boden, dann fliegt er und er trifft in die Mitte. Sonst schießt er seine Elfmeter immer scharf nach rechts (vom Torwart). Und ich habe auch die Ecke gewählt. Aber wenn er auf den Boden trifft…
SPORT1: Sie haben den Ball richtig gehalten, aber er hat falsch geschossen?
Maier: Richtig. Ich war in der richtigen Ecke, aber er war in der falschen Ecke. (lacht)
SPORT1: Was war damals der Schlüssel zum Weltmeistertitel? Das Turnier war voller Höhen und Tiefen.
Maier: Es war eine schlimme Zeit damals. Mit der RAF, mit Terroristen (bei Olympia 1972 in München wurden Israelis als Geiseln genommen). Und dann waren wir die ganze WM über im Trainingslager eingesperrt. Überall war Polizei und wir hatten nie Kontakt zu den Leuten. Wir hatten immer Angst, dass etwas passiert. Als Spieler aus dem Gastgeberland waren wir besonders gefährdet. Wir hätten uns gewünscht, dass die Leute uns beim Training zuschauen oder Autogramme geben können, aber das war nicht der Fall. Und man braucht ja auch irgendwie Kontakt zum Publikum. Dann wurden wir in den ersten Spielen ausgebuht, weil wir schlecht gespielt haben. Aber dann wurden wir nach und nach besser.
Sepp Maier: Das gab es auch beim FC Bayern
SPORT1: Wenn Sie sagen, Sie hätten gern mehr Kontakt zur Bevölkerung gehabt: Ist das etwas, was Sie der heutigen Generation neidisch machen? Dass sie im Mittelpunkt stehen, dass sie zumindest im Hotel Autogramme geben und dass es viele Aktivitäten gibt.
Maier: Als wir mit dem FC Bayern unterwegs waren, hatten wir das auch. Nur während der WM war es so schlimm, als wir von der Außenwelt abgeschnitten waren. Aber sonst, als wir unterwegs waren, standen die Kinder auch unten vor dem Hotel.
SPORT1: Jetzt müssen wir mit Sepp Maier über das Thema Torhüter reden. Anders geht es nicht. Vor der EM gab es einige Diskussionen über Manuel Neuer.
Maier: Die Medien haben mich immer wieder darauf angesprochen und ich habe immer gesagt: Lasst Manu in Ruhe, Manu ist fit. Er war lange verletzt, aber wenn jemand viermal zum weltbesten Torhüter gekürt wird, verlernt er das nicht. In den letzten Spielen bei Bayern ging es um nichts mehr, und man macht Fehler, weil man nicht mehr konzentriert ist. Aber wenn Manuel Neuer konzentriert ist, gibt es keinen Besseren als ihn.
SPORT1: Finden derartige Diskussionen in Deutschland nur statt, weil wir seit Jahrzehnten eine Torhüter-Nation sind?
Maier: Wir Deutschen sind natürlich sehr verwöhnt, was Torhüter angeht. Wir hatten schon immer gute Torhüter. Natürlich sind die Erwartungen etwas höher. Aber wenn man einen Torwart wie Neuer runtermacht, ist das typisch deutsch.
Warum sollte Manuel Neuer aufhören?
SPORT1: Wie lange wird Neuer noch spielen? Was meinen Sie? Er sagt, ans Aufhören denkt er nicht.
Maier: Er hat recht. Solange er gute Leistungen bringt, warum sollte er aufhören? Oliver Kahn hätte bis 40 oder 41 spielen können, aber er wollte einfach aufhören. Ich wollte auch so lange spielen, aber mein Autounfall hat mich daran gehindert.
SPORT1: Was unterscheidet einen jungen Torwart von einem alten? Man ist nicht mehr so fit wie mit 18.
Maier: Man muss auch einen klaren Kopf haben. Mit mehr Erfahrung wird man auch gelassener. Wenn man in Spiele geht und zu angespannt und ehrgeizig ist, dann macht man Fehler. Wenn man denkt, es kann nichts passieren, weil man weiß, dass man gut trainiert hat, dann passiert auch nichts. Dann hält man gut durch. Und das funktioniert nur, wenn man eine gewisse Reife hat.
SPORT1: Gute Torhüter sind wie guter Wein.
Maier: So sieht es aus.