Neuer Präsident des Iran: Große Ambitionen, aber wenig Spielraum
Kommentar
Irans neuer Präsident Peschkian hat ehrgeizige Pläne. Er will den Streit um die Kopftuchpflicht beenden, seine Außenpolitik ausweiten und die Wirtschaft ankurbeln. Doch ändern wird sich letztlich wenig.
So sehen Sieger aus. Auf einem Foto strahlt Massud Peseschkian und streckt zwei Finger zum Victory-Zeichen. Er hat es geschafft. Gegen Prognosen, gegen die strenge Vorauswahl der Kandidaten durch den sogenannten Wächterrat, der von den 80 Bewerbern nur sechs zugelassen hatte.
Und zwar gegen zwei Kontrahenten aus dem ultrakonservativen Lager, die beide vor der ersten Runde zu siegessicher waren und nicht zugunsten des anderen zurückziehen wollten. Womöglich kommt Peseschkian also das alte Sprichwort zugute: Wenn zwei streiten, freut sich der Dritte.
Kopftuchpflicht steht auf Peseschkians Agenda
Für einen Moment zeigt der Iran ein anderes Gesicht – das einer demokratischen Republik, in der die Wähler das Sagen haben. Doch das ist nur eine Maske. An den tatsächlichen Machtverhältnissen im Land ändert sich nichts. Das Regime ist nach wie vor auf den obersten religiösen Führer, Ayatollah Ali Khamenei, zugeschnitten, dem auch Peseschkian seine Treue geschworen hat. Khamenei wird sich daher mit dem neuen Präsidenten gut arrangieren.
Natürlich will Peseschkian wirklich etwas ändern. Innen- und gesellschaftspolitisch steht die Kopftuchpflicht wohl ganz oben auf seiner Agenda. Von einer Abschaffung hat er auch nie gesprochen. Stattdessen sprach er von der Lösung eines Jahrzehnte alten Problems. Dafür könnte er etwa dafür sorgen, dass die Kopftuchpflicht nicht mehr so streng kontrolliert wird und das bewusste Wegschauen der Behörden als Fortschritt verkaufen.
Dann will er die Internetzensur lockern. Das könnte zumindest der absurden Situation ein Ende setzen, dass der oberste Führer Khamenei zwar eifrig soziale Medien nutzt, die Menschen im Land aber ohne VPNs, also Internet-Tunneldienste, keinen Zugang haben.
Viele Bremsbeläge
Vor allem aber will und muss Peseschkian wirtschaftlich punkten. Er hat angekündigt, mit möglichst vielen Ländern – außer Israel – normale Beziehungen zu pflegen. Zudem könnte eine Wiederaufnahme der Verhandlungen über das Atomprogramm tatsächlich zu einer Lockerung der Sanktionen führen und der iranischen Wirtschaft zugutekommen.
Peseschkian hat also einen Plan. Doch wie weit er ihn umsetzen kann, ist völlig ungewiss. Denn an jeder Ecke lauern Hindernisse: Das beginnt schon bei der Regierungsbildung. Der Präsident ernennt die Minister, das Parlament muss sie aber bestätigen. Die ist seit der auch durch gezielte Kandidatenaufstellung gesteuerten Parlamentswahl Anfang März konservativer denn je.
Peseschkian könnte enttäuschen
Gelingt es Peseschkian, Gesetze durchs Parlament zu bringen, steht als nächste Hürde der Wächterrat an, der Gesetze überprüft – und ganz auf der Linie des Obersten Führers steht. Außenpolitisch kann Peseschkian also das freundliche Gesicht Irans sein. An Ali Khamenei kommt er aber nicht vorbei. Gleiches gilt für die Innen- und Sozialpolitik. Kleine Stellschrauben kann Peseschkian vielleicht noch ansetzen. In die größere Maschinerie darf er ohne Erlaubnis von oben nicht eingreifen.
Peseschkian ist es gelungen, die Menschen zu mobilisieren. Er hat ihre Hoffnungen, Erwartungen und ihre Verachtung für das Regime in Wählerstimmen umgewandelt und die Wahlbeteiligung von 40 auf 50 Prozent gesteigert. Doch es besteht die Befürchtung, dass er seine Wähler letztlich enttäuschen wird. Regieren heißt für ihn Regieren gegen alle Widerstände.
Uwe Lueb, ARD Istanbul, tagesschau, 06.07.2024 19:21
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