Wahre Verbrechen: Tatunca Nara, der weiße Häuptling und die toten Rucksacktouristen

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ICHIn seinem letzten Brief an seine Eltern schrieb John Reed, dass er voll und ganz an ihn glaube. An seine Ehrlichkeit und seine guten Absichten. „Er ist mein guter Freund“, schrieb der 28-jährige Amerikaner im Herbst 1980 über den Mann, der ihn mit seiner fantastischen Geschichte so lange gefesselt hatte und mit dem er nun endlich in die Tiefen des Regenwaldes reiste.

Sie seien nur ein oder zwei Tage von Akahim entfernt, schrieb Reed, von der sagenumwobenen unterirdischen Stadt, in der das Volk der Ugha Mongulala leben soll. Der junge Abenteurer zweifelte weder an der Existenz dieser Stadt noch an ihrer Schwesterstadt Akakor, noch an der Behauptung seines Begleiters, er habe eine ganz besondere Beziehung zu dem Stamm: Er, Tatunca Nara, sei niemand anderes als der Sohn des letzten Prinzen der Ugha Mongulala und damit deren Häuptling.

John Reed ist einer von nur drei westlichen Abenteurern, die von ihrer Begegnung mit Tatunca Nara nie zurückkehrten. 1984 wurden im brasilianischen Regenwald die Überreste des 22-jährigen Schweizer Försters Herbert Wanner entdeckt. In seinem Schädel befand sich ein Einschussloch.

Yogalehrerin Christine Heuser glaubte, Tatunca Nara sei ihr Mann aus einem früheren Leben. Sie gilt bis heute als vermisst

Yogalehrerin Christine Heuser glaubte, Tatunca Nara sei ihr Mann aus einem früheren Leben. Sie gilt bis heute als vermisst

Quelle: Privatarchiv Heuser

Von der Yogalehrerin Christine Heuser aus Kehl am Rhein, die 1987 Tatunca Nara besuchte, weil sie glaubte, er sei ihr Ehemann aus einem früheren Leben, fehlt bis heute jede Spur. Auch das Verschwinden und der vermutliche Tod von John Reed konnten durch polizeiliche Ermittlungen nicht geklärt werden, ebenso wenig wie die Frage, welche Rolle Tatunca Nara dabei spielte.

Nun hat ein ARD-Team den mysteriösen Kriminalfall wieder ans Licht gebracht. „Tatunca Nara und die Toten im Dschungel“ heißt die dreiteilige True-Crime-Serie, die in der Mediathek verfügbar und durchaus sehenswert ist. Für die Dokumentation reisten die Filmemacher in die brasilianische Stadt Barcelos am Rio Negro, wo der heute 82-jährige Tatunca Nara noch heute lebt. Als freier Mann.

Für eine Teilnehmerin war die Forschungsexpedition in den Amazonas eine sehr persönliche Reise, auch in eine dunkle Vergangenheit. Die 1966 geborene Schauspielerin Kirsten Nehberg ist die Tochter des 2020 verstorbenen Survival-Experten und Menschenrechtsaktivisten Rüdiger Nehberg. Bei seiner Expedition zum Volk der Yanomami im Jahr 1982 begegnete er der deutschsprachigen Tatunca Nara und begann bald an seiner Integrität zu zweifeln. In den folgenden Jahren nahm er sich des mysteriösen Verschwindens der Rucksacktouristen an und sammelte Beweise, die Tatunca Nara zur Hauptverdächtigen machten.

Kirsten Nehberg im Juli 1996 mit ihrem Vater, dem Survival-Experten und Menschenrechtsaktivisten Rüdiger Nehberg, der 2020 starb

Quelle: picture-alliance/dpa/Stefan Hesse

„Die Ereignisse um Tatunca Nara waren in unserer Familie über viele Jahre hinweg sehr präsent“, sagt Kirsten Nehberg im Interview. Das sei nicht ohne Probleme gewesen. „Die Auseinandersetzung mit Tatunca Naras Psyche hat mich negativ geprägt“, sagt sie. Während der Vorbereitungen für die Dokumentation habe sie sogar begonnen zu zweifeln, ob es klug sei, ihm so nahe zu kommen.

Vor allem der Fall John Reed belastete sie. Als Rüdiger Nehberg 1990 gemeinsam mit dem Filmemacher Wolfgang Brög einen Dokumentarfilm über Tatunca Nara drehte, konfrontierten sie ihn mit der Schwester der vermissten Amerikanerin, Sandy Reed. Der Mitschnitt des zweieinhalbstündigen Gesprächs war, so Kirsten Nehberg, „mit all den Lügen und Ausreden von Tatunca Nara fast unerträglich“. Am Ende platzte es aus Sandy Reed heraus. Sie sagte ihm direkt, sie wisse, dass er ihren Bruder getötet habe.

Er bestreitet das. „Als ich das Gespräch zum ersten Mal sah“, sagt Kirsten Nehberg, „brannte sich Sandys verzweifelte Emotionalität unter meine Haut.“ Die Tragik, dass Sandy Reed auf die Frage nach dem Schicksal ihres Bruders keine Antworten bekam, hat sie bis heute nicht verwunden.

Aliens und Nazis in unterirdischen Städten

Wie so viele andere wurde John Reed durch ein Buch auf Tatunca Nara aufmerksam, das 1976 erstmals erschien. „Die Chronik von Akakor. Erzählt von Tatunca Nara, dem Häuptling der Ugha Mongulala“ wurde zu einem Bestseller der blühenden Esoterik-Bewegung der 1970er Jahre. Autor war Karl Brugger, der damalige ARD-Korrespondent in Rio de Janeiro.

Das Buch entstand während einer Expedition, bei der Tatunca Nara vorgab, Brugger in die geheime Stadt Akahim zu führen. Während der – schließlich abgebrochenen – Reise gab er sich als Sohn einer entführten deutschen Nonne und des indischen Herrschers Sinkaias aus. Und er berichtete von den gigantischen unterirdischen Städten, die die Götter vor 12.000 Jahren erbaut hatten und in denen sein Volk lebte.

Für die Ugha Mongulala, von denen vor Tatunca Naras Erzählungen noch niemand etwas gehört hatte, präsentierte er eine fantastische Ursprungsgeschichte. Sie waren Nachkommen von Bewohnern des Planeten Schwerta, die sich bei einem Besuch im Amazonasgebiet mit Einheimischen gepaart hatten. Seit dem Zweiten Weltkrieg teilte sein Volk seine Heimat mit Tausenden von SS-Angehörigen, die mit U-Booten ankamen.

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Der brasilianische Kameramann Jorge Bodanzky, der dabei war, als Brugger Tatunca Naras Geschichten auf Band aufnahm, gab 2023 dem Online-Reisemagazin „Travelbook“ ein vielsagendes Interview. Darin machte er keinen Hehl daraus, dass Brugger sich durchaus bewusst war, wie wenig Wahrheit an der Geschichte dran war. Doch der Korrespondent sagte ihm: „Die Geschichte ist gut. Für einen Journalisten zählt die Geschichte.“

Brugger verdiente mit dem Buch viel Geld. Bis auch er unter bis heute ungeklärten Umständen starb. Am Silvesterabend 1984 wurde er in Rio de Janeiro auf offener Straße von einem Unbekannten erschossen. Tatunca Nara geriet unter Verdacht. Doch er hatte ein Alibi, das ihn entlastete.

Unter den Menschen im Amazonasgebiet gibt es viele Legenden rund um Tatunca Nara, die meisten davon sind furchterregend

Quelle: NDR/Ferdinand Schmid

Nach dem Verschwinden von Christine Heuser 1987 ermittelte das Bundeskriminalamt auch gegen Tatunca Nara – und fand heraus, wer dieser wirklich war: Günther Hans Hauck, ein gelernter Maurer aus Grub am Forst in Franken. Der Familienvater war Ende der 1960er Jahre über Nacht von dort verschwunden, um in Brasilien mit einer deutschstämmigen Frau nicht nur eine zweite Familie zu gründen, sondern auch eine neue Identität aufzubauen.

Dass ihm die brasilianischen Behörden einen Ausweis auf den Namen Tatunca Nara ausstellten, könnte laut Kirsten Nehberg mit seinen guten Kontakten zu Behörden zusammenhängen. „Er arbeitete für das Militär“, sagt sie. Eine Theorie ist, dass in der Gegend illegal Uran abgebaut wurde und er möglicherweise ein Geheimnisträger war.

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Fest steht, dass er in schwierigen familiären Verhältnissen aufwuchs und als Jugendlicher in einer Besserungsanstalt landete. „Eines Abends“, sagt Kirsten Nehberg, „meldete er der Gefängnisleitung sehr überzeugend, dass ein UFO auf dem Gefängnisgelände gelandet sei. Als die Sozialarbeiterin die Landung bestätigen wollte, war das unbekannte Flugobjekt zwar längst verschwunden, hatte aber auf dem Rasen vage Spuren hinterlassen.“

Günther Hans Hauck, der schon als Kind mit großer Begeisterung „Tarzan“-Comics las, verfügte schon immer über eine blühende Fantasie. Wie sehr er auch als Erwachsener die Menschen mit seinen Geschichten faszinieren konnte, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass sich Steven Spielberg für die „Indiana Jones“-Folge über das „Königreich des Kristallschädels“ von den „Chroniken von Akakor“ inspirieren ließ.

Der Schweizer Parawissenschaftler Erich von Däniken sah seine Theorien durch Tatunca Nara bestätigt

Quelle: picture alliance/dpa/Stanislav Peska

Doch der Parawissenschaftler Erich von Däniken sah in Tatunca Nara seine eigenen Theorien über den Einfluss Außerirdischer auf die Entstehung hochentwickelter Zivilisationen bestätigt. Von Däniken selbst war vermutlich eine Quelle für Tatunca Naras Erzählungen. „Mein Vater hat in seinem Tagebuch die Literatur aufgelistet, die er in Tatuncas Bücherregal fand“, sagt Kirsten Nehberg. „Darunter auch viele Bücher von Erich von Däniken.“

Der Schweizer Autor reiste zu dem vermeintlichen Häuptling, erkannte ihn jedoch als Hochstapler. Auch der Meeresforscher Jacques Cousteau, der 1983 mit Tatunca Nara eine Expedition zur Ugha Mongulala vereinbart hatte, musste feststellen, dass er einem Hochstapler auf den Leim gegangen war. Wie üblich brach Tatunca Nara die Reise in sein sagenumwobenes Königreich plötzlich ab.

Laut Kirsten Nehberg bestand eine seiner Methoden darin, die Menschen plötzlich im Dschungel allein zu lassen. Ein Brasilianer Ich erzählte ihr von diesem Erlebnis. Karl Brugger hielt seine Angst sogar auf Tonband fest, als er stundenlang allein gelassen wurde. Für Kirsten Nehberg praktizierte Tatunca damit einen perfiden Machtmissbrauch.

Schauspielerin Kirsten Nehberg will die Umstände des Verschwindens der Rucksacktouristen klären

Quelle: NDR/Billy&Hells

Auf ihrer Reise erfährt sie, dass Tatunca Nara alias Günther Hans Hauck noch immer Angst und Schrecken verbreitet. Ihm werden übernatürliche Kräfte nachgesagt und er wird mit dem Verschwinden von Menschen in Verbindung gebracht.

Als während der Forschungsreise angedeutet wurde, er könne am nächsten Tag an Bord des Schiffes kommen, kam es zu großer Unruhe unter der einheimischen Besatzung.

Trotz solcher Erlebnisse, die das Bild seiner manipulativen Persönlichkeit bestätigen, ist sie froh, die Reise gemacht zu haben. „Ich habe jetzt klarere Bilder von den Orten im Kopf, an denen sich mein Vater und Tatunca begegnet sind“, sagt sie. Das habe ihr geholfen, ihre eigene Geschichte mit Tatunca Nara aufzuarbeiten.

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