Wie die fußballbegeisterten Niederländer zu ihrer Farbe Orange kamen
Wo die niederländische Nationalmannschaft auftritt, färben sich die Straßen orange. Bei der diesjährigen Europameisterschaft hüpfen signalgefärbte Hundertschaften in den deutschen Straßen zudem zum Après-Ski-Lied „Links rechts“ der Snollebollekes in militärischer Staffelung, dabei ganz unmilitärisch ausgelassen, nach links, nach rechts und wieder zurück. Je weiter die niederländische Mannschaft in der Spieltabelle vorrückt, desto stärker wird das in kollektiver Fröhlichkeit demonstrierte „Oranjegevoel“ – dieses „orange Gefühl“, das Flaggen, Vuvuzelas oder Mützen entsprechend einfärbt.
Doch weshalb ausgerechnet orange? Andere Länder manifestieren die Unterstützung ihrer Nationalmannschaft durch das Tragen der Landesfarben auf T-Shirts oder geschminkten Wangen. Woher kommt die leicht aufdringliche Fußballfarbe , die ja nichts mit der rot-weiß-blauen Flagge der Niederlande zu tun hat? Die Frage können hartgesottene holländische Fußballfans selbst in nüchternem Zustand nicht beantworten.
Keine Spur von Orange im Wappen
Die einfachste Antwort wäre diese: Die Niederländer äußern ihre Unterstützung für die Nationalmannschaft in der Farbe Orange, weil diese königlich ist. Sie spielt nämlich im Dienste des Königlich Niederländischen Fußballbundes. Und die königliche Farbe ist Orange – so wie die blaue Farbe der italienischen Nationalmannschaft auf das 1946 abgeschaffte Königshaus Savoyen verweist, weshalb der Farbton „Savoyablau“ heißt und die Nationalmannschaft noch immer als „gli Azzurri“ bekannt ist.
Doch mit dieser Antwort ist das Rätsel nicht gelöst. Denn weshalb sollte Orange eine königliche Farbe sein? Der Experte wird darauf bestehen, dass dies keine heraldische Farbe sei. Tatsächlich enthält das Wappen des niederländischen Königshauses Gold, Blau, Rot, Weiß – doch keine Spur von Orange. Der Freund des Königshauses wird dem pingeligen Heraldiker entgegenhalten, dass an nationalen Feiertagen ein orangefarbener Wimpel über der Landesflagge gehisst werde. Und der Grund sei natürlich, dass die königliche Familie aus dem Hause Oranien-Nassau stamme, wobei der Name „Oranien“ auf das ehemalige Fürstentum „Orange“ in der französischen Rhoneebene verweise. Voilà.
An dieser Stelle jedoch lüftet sich der Kern des Mysteriums mit voller Wucht. Zwar trägt der in den Niederlanden herrschende Teil des Hauses Nassau seit fünfhundert Jahren auch den Titel des Prinzen von Oranien – Prince d’Orange. Doch der Name dieser Stadt hat nichts mit der Frucht oder der nach ihr benannten Farbe zu tun. In römischer Zeit hieß die Stadt Arausio, und dieser Name wurde tausend Jahre später orange ausgesprochen – so wie aus Mogontiacum allmählich Mainz oder aus Augusta Treverorum Trier wurde. Und was die Frucht betrifft, die der markanten Farbe ihren Namen gab, so handelt es sich dabei um ein Importprodukt aus dem Orient, das sich erst im 15. Jahrhundert in Europa zu verbreiten begann.
Gleicher Klang, andere Bedeutung
Der ursprüngliche deutsche Name Apfelsine verweist noch heute auf den chinesischen oder allgemein asiatischen Ursprung der Frucht, so wie die Niederländer den fruchtigen Träger ihrer Fußballfarbe noch heute als „Sinaasappel“ bezeichnen. Über hundert Umwege wurde aus dem indianischen Namen dieser Frucht „nâranga“ das arabische „nârandj“, bevor daraus in Frankreich über das Spanische und Alpprovenzische „orange“ wurde. Dass die römische Stadt Arausio und die asiatische Frucht am Ende ihrer jeweiligen Sprachentwicklung denselben Namen trugen, nennt man Homophonie: gleicher Klang, unterschiedliche Bedeutung. Selbst in der Stadt Orange ist dies jedoch mittlerweile in Vergessenheit geraten: In das Stadtwappen hat man drei Orangen aufgenommen – obwohl sie aus Respekt vor den Regeln der Heraldik zitronengelb sind.
Trotz aller Verwirrung bleibt die Frage, wie sich das „orangefarbene Gefühl“ erklären lässt. Beim Aufstand der protestantischen Provinzen gegen den Habsburgerkönig wurden 1572 erstmals orangefarbene Flaggen verwendet, die auf den Anführer der Rebellion, Wilhelm von Oranien, Bezug nahmen. Dabei wurde zunächst sehr bewusst mit der Frucht, der Farbe und ihren Bedeutungen gespielt. „Wie gefallen Ihnen die Orangen?“ war eine typische Frage an spanische Soldaten, die als Provokation gedacht war. Doch schon bald sollte diese Farbe eine parteipolitische Bedeutung bekommen.
Wenn Sie Farbe bekennen müssen, sollten Sie eine haben
Nach der Unabhängigkeit der Niederlande schwankte der Staatenbund jahrhundertelang zwischen einer republikanischen und einer zentralistischen oder gar monarchistischen Regierungsform. Die Anhänger der letzteren unterstützten die Ambitionen der mächtigsten Familie, und das war eben jene der Prinzen von Oranien-Nassau. Ihre Anhänger nannten sich deshalb „Orangisten“. Und weil eine Partei nicht nur Farbe zeigen, sondern auch haben muss – die Berliner Ampelkoalition beweist das mit dreifarbiger Kraft –, entschieden sich die Monarchisten für Orange. Aus dem Wortspiel entwickelte sich bald eine Herrscherikonographie, die den Witz der ursprünglichen Assoziation vergessen ließ. Davon zeugt auch das vielsagende Wappen der deutschen Stadt Oranienbaum (deren Name auf eine niederländische Prinzessin zurückgeht): Es zeigt einen Orangenbaum, allerdings auch hier, heraldisch korrekt, mit gelben Früchten.
Dass das Haus Oranien nach mehreren Seekriegen gegen England dank der „Glorreichen Revolution“ auf feindlichem Gebiet eine Königskrone erhalten sollte, ist die eine Ironie dieser langwierigen Thronsuche. Die jährlichen Märsche der Mitglieder des nordirischen Oranierordens – natürlich ebenfalls in der Themenfarbe gekleidet – erinnern an diese Zeit. Die zweite Ironie ist, dass die Niederlande selbst erst unter französischer Besatzung einen König erhielten, nämlich den Bruder Napoleons.
Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit beschloss man, die Oranjes endlich auch in der Heimat mit einer Krone zu belohnen. Mit merkwürdiger Verspätung, nämlich im Jahr 1815, wurden die Niederlande zur Monarchie. Die Farbe Orange wurde im selben Jahr ins Staatswappen aufgenommen, und seitdem werden orangefarbene Fahnen nicht mehr als Parteisymbol, sondern als Zeichen nationaler Einheit geschwenkt. Doch zurück zu den tanzenden Holländern auf den deutschen Straßen. Der allerletzte Punkt dieser kleinen Geschichte des „orangen Gefühls“ ist, dass es in der Fußballgeschichte vor genau fünfzig Jahren und auf deutschem Boden entstand, nämlich während der WM 1974.
Die Niederlande hatten eine begeisternde Mannschaft, die es bis ins Finale schaffte, das sie dann mit 1:2 gegen Deutschland verloren. Seit diesem kollektiven Rausch tragen nicht nur die Spieler Orange, sondern auch ihre Fans. Seitdem schwappt bei den alle zwei Jahre stattfindenden Europa- und Weltmeisterschaften eine kollektive Welle der Emotionen durch das Land, obwohl die Farbe nur noch an die Anliegen der Orangeisten erinnert. Das Schöne an diesem bunten Rausch heute ist genau das: Es ist keine Nationalflagge.