Wie Mike Maignan zur Nummer eins reifte
Dass noch Anfang Juni in vielen Startelf-Prognosen der Name Brice Samba für den Posten zwischen den Pfosten stand, lag weniger an dessen Können, als an Mike Maignans Verletzung. Maignan, ein stiller Zeitgenosse, hatte die Lücke geräuschlos geschlossen, die Hugo Lloris hinterließ. Der langjährige „gardien“ der Franzosen beendete seine imposante Laufbahn nach dem WM-Finale gegen Argentinien vor anderthalb Jahren.
Bei dieser Europameisterschaft nun hat Maignan nicht nur seine Fingerblessur überwunden – er steht auch stellvertretend für die beste Abwehr des Turniers. Wobei man das eine Gegentor im bisherigen Verlauf eher der Defensive vor Maignan zuschreibt, Dayot Upamecano und William Saliba zum Beispiel.
Kurios genug, dass die wertvollste Offensive dieser Euro bislang zurückhaltend aufgetreten ist, während die Abwehr alle einschüchtert, obwohl sie doch vorher als Sorgenkind verschrien war. Bei den Zu-Null-Spielen waren es dann, wenn die gegnerischen Angreifer durchkamen, Maignans Paraden, die Schlimmeres verhinderten; gleich vier teils hochkarätige Rettungstaten steuerte er zu Beginn gegen Österreich und die Niederlande bei.
Mit Sinn für Humor
Reaktionsschnell gleichermaßen mit Händen und Füßen, soll der 29-Jährige vom AC Mailand an diesem Freitag (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-EM, im ZDF und bei MagentaTV) in Hamburg mithelfen, Frankreich gegen Portugal ins Halbfinale zu befördern.
Auch, weil es bisher der einzige Gegentreffer war, aber vor allem, weil das Zustandekommen ihn aufbrachte, hat sich Maignan bei „Instagram“ zu Wort gemeldet, nachdem ihn Robert Lewandowski vom Elfmeterpunkt bezwang – im zweiten Versuch wohlgemerkt, denn den ersten Schuss hatte Maignan abgewehrt.
Lewandowski bekam allerdings noch eine weitere Chance, weil Maignan seine Füße zu früh von der Linie genommen hatte. Angesichts von Lewandowskis verzögertem Anlauf war das eher ein Reflex als ein Regelverstoß und ärgerte Maignan angesichts von Lewandowskis „87. Finte“. „Neue Regel ab 2026!“, schrieb Maignan anschließend mit Humor, „der Torwart muss dem Schützen beim Elfmeter den Rücken zukehren. Wenn er den Ball hält, bekommt der Schütze einen indirekten Freistoß.“
Dass Maignan mit knapp 30 erst 18 Länderspiele absolviert hat, liegt an Lloris‘ beeindruckender Karrierespanne. Die WM in Katar verpasste er verletzungsbedingt. Ab Januar 2023 ist seine Zeit in der Elf von Didier Deschamps gekommen.
Rassismus in Italien
Maignan stammt aus Französisch-Guayana und durchlief sämtliche Jugendnationalmannschaften. Seine Jahre beim RC Lens machten ihn zu einem gestandenen Torhüter in der Ligue 1. Auf eine Überraschungsmeisterschaft mit Lens folgte 2022 in seinem zweiten Jahr dort der Titel mit dem AC Mailand.
In Italien hat Maignan zwar leistungsmäßig einen Sprung nach vorne gemacht, musste aber auch die Schattenseiten des Geschäfts in Form von Diskriminierung und Rassismus ertragen: Im Januar verließ er das Mailänder Spielfeld, nachdem er von Fans von Udinese Calcio verbal beschimpft worden war. „Sie haben Affengeräusche nachgeahmt“, erklärte Maignan, „so etwas sollte in der Welt des Fußballs nicht passieren und ich musste einfach reagieren.“
Nach Rücksprache mit dem Schiedsrichter ging Maignan in die Kabine und kehrte kurz darauf zurück. Udinese wurde mit einem Heimspiel vor leeren Rängen bestraft; der Hauptverantwortliche für die Beleidigungen erhielt lebenslanges Stadionverbot. Seine Teamkollegen Antoine Griezmann und Kylian Mbappé und viele andere kamen ihm in den digitalen Medien zu Hilfe und lobten seinen Mut – während Mike Maignan desillusioniert wirkte: „Das war nicht das erste Mal.“