Bahn frei für den wildesten Stierlauf der Welt: Im nordspanischen Pamplona ist das berühmte und umstrittene San-Fermín-Fest eröffnet worden. Um zwölf Uhr wurde vor Zehntausenden dicht gedrängt und begeistert die Eröffnungsrakete „Chupinazo“ vom Balkon des Rathauses gezündet. „Viva San Fermín“, riefen fast alle traditionell weiß gekleideten Menschen. Die Massen sangen, tanzten und schwenkten ihre roten Schals. Am Sonntag findet der erste von insgesamt acht Stierläufen statt.
Der staatliche Fernsehsender RTVE und andere Sender übertrugen die Eröffnungszeremonie live. Eine Touristin aus Mexiko weinte hemmungslos vor den RTVE-Kameras: „Ich bin sehr bewegt. Mein Vater hat das immer im Fernsehen gesehen und davon geträumt, eines Tages hier zu sein. Er hat es nicht geschafft. Er ist nicht mehr unter uns. Auch ich bin jetzt für ihn da.“
Zu den Fans des Spektakels zählt auch der aus Pamplona stammende Fußballstar Nico Williams (21), der am Freitag mit der spanischen Nationalmannschaft Deutschland aus der EM geworfen hatte. „Normalerweise feiere ich jedes Jahr. Diesmal wird es nicht möglich sein. Aber wenn wir ins Finale kommen, ist das völlig OK“, sagte er der Sportzeitung „AS“.
Die Proteste der Tierschützer waren vergebens
Doch nicht bei allen war nach der Eröffnung Feierstimmung angesagt. Kritik und Proteste von Tierschützern nehmen von Jahr zu Jahr zu. Am Freitag demonstrierten die Organisationen PETA und AnimaNaturalis in Pamplona gegen das neuntägige Fest. Sie bezeichneten das wilde Spektakel als „mittelalterliche Grausamkeit“. Sie fordern ein Ende der Stierrennen und aller blutigen Stierkämpfe.
Einige Demonstranten liefen am Freitag angekettet mit Hörnern und rot bemalten Gesichtern und Händen um den Pranger der Stierkampfarena, um das Blut der rund 20.000 Stiere zu symbolisieren, die in Spanien im Rahmen verschiedener jahrhundertealter Traditionen jedes Jahr getötet werden.
In den vergangenen Tagen kam es bereits zu mehreren Kundgebungen, bei denen die Teilnehmer Schilder mit Slogans wie „Folter ist weder Kunst noch Kultur“ und „Tierquälerei ist eine nationale Schande“ trugen. „Wir wissen, dass es eine Mehrheit in der Gesellschaft gibt, die diese Tierquälerei nicht nur in Pamplona, sondern in ganz Spanien ablehnt und kein Interesse daran hat, sie aufrechtzuerhalten – vor allem nicht mit unseren Steuern“, sagte die Vorsitzende von AnimaNaturalis, Aida Gascón.
Kritik nimmt zu, Begeisterung der Fans aber auch
Tatsächlich nehmen Unmut und Proteste seit Jahren zu. Andererseits erfreut sich die blutige Fiesta in der Region Navarra bei den treuen Fans eines Booms. Im vergangenen Jahr wurden nach offiziellen Angaben insgesamt 1,5 Millionen Teilnehmer gezählt – ein Rekord. In diesem Jahr meldeten Hotels bereits Tage vor dem Fest eine durchschnittliche Auslastung von 90 Prozent, Ferienwohnungen waren zu normalen Preisen nicht mehr zu bekommen. Für die Stadt ist es ein Millionengeschäft.
Die Besucher kommen aus verschiedenen Regionen Spaniens und aus der ganzen Welt, unter anderem aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Australien, Japan und vor allem den USA. Der US-Schriftsteller Ernest Hemingway schrieb in seinem ersten großen Roman „Fiesta“ (1926) über Pamplona, das heute 200.000 Einwohner zählt.
Die sogenannten Sanfermines sind dem Schutzpatron der Stadt, San Fermín, gewidmet und werden in Pamplona seit Ende des 16. Jahrhunderts jedes Jahr Anfang Juli gefeiert. Dabei gibt es nicht nur Stierrennen und Stierkämpfe, sondern auch viele Konzerte, Prozessionen und andere Veranstaltungen für Familien und Kinder.
Das wilde Spektakel ist nicht nur für die Tiere gefährlich
Der Höhepunkt der Festlichkeiten ist zweifellos der Stierlauf: Zwischen dem 7. und 14. Juli werden jeden Morgen um acht Uhr sechs zum Teil über 600 Kilogramm schwere Kampfstiere und mehrere Leitochsen von Hunderten Menschen durch enge Gassen in die Arena gejagt, wo sie am Abend in Stierkämpfen getötet werden. Das staatliche Fernsehen und andere TV-Sender übertragen bis zum Ende der Festlichkeiten live. Zudem gibt es Sondersendungen, und Millionen Menschen in ganz Spanien sitzen gebannt vor ihren Bildschirmen.
Zehntausende Menschen verfolgen den Stierkampf aus nächster Nähe auf Balkonen, Mauern und in Seitenstraßen. Touristen zahlen teilweise Hunderte Euro, um sich für kurze Zeit einen kleinen Balkon zu mieten. Rotwein und Sangria fließen in Strömen.
Das wilde Spektakel ist nicht nur für die Tiere gefährlich: Bei den Mutproben der überwiegend jungen Läufer auf der 875 Meter langen Stierlauf-Strecke kommt es jedes Jahr zu Verletzungen. Seit 1924 gab es zudem 16 Todesfälle, der letzte liegt allerdings schon 15 Jahre zurück.