Als ihm dieses Match endgültig entglitten war, blickte Alexander Zverev fragend in seine Box. Doch dort, wo in Wimbledon Trainer, Manager und Verwandte der Tennisspieler am Centre-Court Platz nehmen dürfen, rührte sich kaum jemand, während es im restlichen Stadion gerade erst so richtig laut wurde. Zumindest Letzteres war wenig verwunderlich. Dass dieses Spiel noch mal so eine Wende nehmen und in den fünften Satz gehen würde – damit hatten wohl die wenigsten gerechnet.
Zverev sah im Achtelfinale gegen den US-Amerikaner Taylor Fritz lange wie der sichere Sieger aus. Zwei Sätze lang hatte er beim 6:4, 7:6 (7:4), 4:6, 6:7 (3:7), 3:6 herausragendes Tennis gespielt. Doch im Anschluss verlor der Deutsche erst die Kontrolle – und dann das Spiel. Bei seiner achten Teilnahme beim Rasenklassiker war zum dritten Mal im Achtelfinale Schluss.
Es war zunächst nicht ganz klar, welche Rolle dabei der Rasen in Wimbledon gespielt hat, der so tückisch sein kann, wie zuletzt nicht nur Zverev, sondern auch Grigor Dimitrow am eigenen Leib erfahren musste. Der Bulgare hatte wie der Deutsche auf der rutschigen grünen Wiese den Halt verloren und im Anschluss mit einer Verletzung aufgeben müssen.
„Ich war nicht bei hundert Prozent heute“
Ein großer Spieler aus den Top Ten mit großen Ambitionen – ausgebremst von winzigen Grashalmen. Auch Zverev hätte es so ergehen können. Doch ihn hatte es bei seinem Ausrutscher in der dritten Runde, bei dem er sein linkes Knie unglücklich nach hinten überstreckte, nicht ganz so schlimm erwischt. Jedenfalls war die körperliche Verfassung am Montag gut genug, um zwei Tage nach seinem Sturz fünf Sätze zu spielen.
Es war von der Tribüne aus zunächst nicht eindeutig auszumachen, ob ihn die Verletzung am Knie sonderlich in seinem Spiel behinderte. Zwar fiel auf, dass Zverev in der Anfangsphase nicht jedem Ball hinterherlief und bei Stopps des Gegners nicht so schnell am Netz auftauchte wie in den Runden zuvor. Doch insgesamt machten die Bewegungen des Deutschen anfangs noch einen recht flüssigen Eindruck.
Im Laufe des Spiels bewegte sich Zverev dann zunehemnd schlechter. „Ich war nicht bei hundert Prozent heute“, sagte er hinterher und sprach von einem Knochenödem und einer Zerrung in der Kapsel im Knie. „Wenn ich gemerkt hätte, dass ich beim Aufschlag Probleme habe, hätte ich nicht gespielt“, erklärte er. Zunächst funktionierte noch alles. Erst ab Mitte des dritten Satzes habe er nicht mehr richtig hochspringen können beim Service, sagte Zverev.
Vorher zeigte der fast zwei Meter große Hüne gegen Fritz, was ihn das gesamte Turnier über stark gemacht hatte: der Aufschlag, der inzwischen zur großen Waffe geworden ist. Zverev servierte präzise, variabel, hart und konstant: Wie schon die Gegner in den vorigen Runden hatte auch Fritz anfangs Probleme damit, Zverevs Service zu lesen. Der Amerikaner hatte vor der Partie prophezeit, dass es auf Rasen am Ende des Tages auf Aufschlag und Return ankommen werde. „Es wird ein Match mit sehr wenigen Chancen sein, und derjenige, der die Chancen nutzt, der sich etwas einfallen lässt und in diesen engen Momenten besser spielt, wird wahrscheinlich den Unterschied machen.“
Fritz sollte recht behalten. Das Spiel wurde zum Duell zweier starker Aufschläger mit wenigen langen Ballwechseln. Etwas anders vorgestellt haben dürfte sich der US-Amerikaner nur den Start. Denn es war fast ausschließlich Zverev, der die
Chancen bekam und sie für sich nutzte. Beim Stand von 4:4 boten sich ihm im ersten Satz erstmals zwei Möglichkeiten, Fritz den Aufschlag abzunehmen. Die erste wehrte sein Gegner noch ab. Doch bei der zweiten entwickelte sich ein erstes längeres Duell von der Grundlinie, das Zverev nicht zuletzt aufgrund seiner starken Rückhand für sich entschied. Im Tiebreak des zweiten Satzes beging Fritz dann den ersten Fehler bei eigenem Aufschlag, als er eine Vorhand ins Netz schlug. Diesen Vorteil ließ sich Zverev nicht mehr nehmen.
Dann drehte sich allmählich das Spiel. Zverev wurde zunehmend unkonzentrierter, machte plötzlich mehr Fehler ohne Not. Fritz kam zu ersten Breakchancen. Und als es so weit war, wackelte ausnahmsweise doch mal der Aufschlag bei Zverev, der beim Stand von 30:40 einen Doppelfehler servierte, welcher ihn letztlich den Satz kostete. Fritz war nun deutlich besser im Spiel. Er retournierte stärker und spielte vor allem im Tiebreak des vierten Satzes sein bestes Tennis. Zverev fand keine Antwort mehr auf den erstarkten Gegner, dem auch im fünften Satz ein frühes Break gelang. „Ich habe ziemlich gut gespielt, dafür, dass ich zwei Sätze hinten lag“, befand Fritz nach der Partie: „Ich hatte weiter den Glauben, dass ich das Match noch drehen kann.“ Nicht zuletzt deshalb verließ er den Platz als Sieger.
De Minaur im Viertelfinale
Der Australier Alex de Minaur setzt in einer starken Saison auch in Wimbledon zum Höhenflug an. Der 25-Jährige aus Sydney schaffte mit einem 6:2, 6:4, 4:6, 6:3-Erfolg gegen den 20 Jahre alten Franzosen Arthur Fils erstmals in London den Sprung ins Viertelfinale. Weiter ging es für de Minaur noch nie bei einem Majorevent.
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Seinen Gegner für das Duell um das Halbfinale ermittelten in einer mit Spannung erwarteten Partie am Abend Grand-Slam-Rekordchampion Novak Djokovic und Holger Rune. Dabei ließ der Serbe dem Dänen beim 6:3, 6:4, 6:2-Erfolg keine Chance und zog zum insgesamt 60. Mal bei einem Major ins Viertelfinale ein. „Ich bin sehr zufrieden, aber ich glaube, dass er auch nicht auf seinem höchsten Level gespielt hat“, sagte Djokovic.
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Auch der Italiener Lorenzo Musetti qualifizierte sich am Montag mit einem Sieg (4:6, 6:3, 6:3, 6:2) gegen den Franzosen Giovanni Mpetshi Perricard für die Runde der letzten Acht. Am Sonntag hatten bereits der Weltranglistenerste Jannik Sinner, der Spanier Carlos Alcaraz, der Russe Daniil Medwedew sowie der Amerikaner Tommy Paul den Sprung ins Viertelfinale geschafft. (sid/shüs.)