Darum liest der VW-Chef der Fossil-Lobby die Leviten

Mitglied des Vorstands der Volkswagen AG, Markengruppe Kern CEO Marke Volkswagen

VW-Markenchef Thomas Schäfer kritisiert „Stimmung gegen E-Mobilität“.Bild: Volkswagen AG

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Konservative Politiker wollen die Uhr zurückdrehen und das ab 2035 geltende Verbot neuer Autos mit Verbrennungsmotor in der EU kippen. Europas größter Autokonzern sieht das allerdings ganz anders.

05.06.2024, 19:5405.06.2024, 21:23

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„Es herrscht eine große Anti-E-Mobilitäts-Stimmung“, sagte VW-Markenchef Thomas Schäfer kürzlich in einem Interview mit der Autogazette. Und das ist noch untertrieben. Wir reden hier nicht von den Diesel-Dietern, die auf Facebook oder in der Stammkneipe ihr „Wissen“ über Elektroautos teilen, das schon vor fünf Jahren veraltet ist.

Ohne jeden Sinn veröffentlichen selbst Qualitätsmedien Loblieder auf das Elektroauto, während radikale Klimaaktivisten gegen die Elektromobilität hetzen und damit der fossilen Brennstofflobby direkt in die Hände spielen.

Die Partei hofft auf einen Rechtsruck bei der Europawahl in dieser Woche, um den EU-Beschluss zum Verbot von Verbrennungsmotoren in Neuwagen ab 2035 weiter aufzuweichen. In diesem Klima der Unverbesserlichkeit versuchen CDU und FDP seit Monaten mit dem Schlachtruf gegen das „Verbrennungsmotorenverbot“ Stimmen zu gewinnen.

Die CDU macht sich gegen das „Verbrennerverbot“ stark. Tatsächlich schreibt die EU lediglich vor, dass ab 2035 keine neuen Fahrzeuge mehr zugelassen werden, die Treibhausgase ausstoßen. Die EU-Regelung ist also technologieoffen.
Bild: CDU-Website via auto-motor-und-sport

Dies sei bei der Transformation der Automobilindustrie hin zu umweltfreundlicheren Elektroantrieben sicher „nicht hilfreich“, kritisiert Schäfer den öffentlichen und politischen Diskurs.

„Der Elektromobilität gehört die Zukunft. Sie ist der richtige Weg: fürs Klima, wirtschaftlich und für immer mehr Kunden. Mit großen Reichweiten und schnellen Ladezeiten ist das Elektroauto schon heute absolut alltagstauglich.“

Thomas Schäfer, VW-Markenchefautogazette

„Viele fragen sich, ob der Verbrennungsmotor nicht doch die bessere Lösung ist und behaupten, die Elektromobilität sei zu kompliziert. Nein, das ist sie nicht.“

Thomas Schäfer, VW-Markenchefautogazette

Sollte der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor in der EU rückgängig gemacht werden?

Von politischen Manövern, das Ende der Verbrenner in der EU noch zu kippen, hält Schäfer gar nichts: „Solche Forderungen greifen zu kurz. Die Autoindustrie ist eine Branche, die langfristig investiert.“ VW habe sich „als einer der ersten großen Konzerne zum Pariser Klimaabkommen bekannt und massiv investiert“. Das Modellportfolio sei auf E-Mobilität ausgerichtet, die Verbrennerwerke würden zu E-Auto-Fabriken umgebaut und massiv in Batterietechnik investiert.

„Zu glauben, wir könnten einfach die Pausentaste drücken und dann irgendwann wieder loslegen, ist unrealistisch. Nicht nur für uns, sondern für die gesamte Autoindustrie.“

Thomas Schäfer, VW-Markenchefautogazette

Weltweiter Absatz von Elektroautos

Berücksichtigt werden dabei ausschließlich vollelektrische Fahrzeuge (BEVs), also keine Plug-in-Hybride (PHEVs).Grafik: Analyse der Autoindustrie

BMW-Chef Oliver Zipse bezeichnete die Entscheidung, Verbrennungsmotoren in Neuwagen in der EU bis 2035 auslaufen zu lassen, als „naiv“Es mache die europäische Autoindustrie erpressbar. „Jeder internationale Wettbewerber, jeder Zulieferer weiß: Sie sind abhängig von einer einzigen Technologie. Damit unterlaufen sie Marktmechanismen und verteuern zum Beispiel die dafür benötigten Rohstoffe deutlich.“

Schäfer sieht das anders:

„Für mich ist die Elektromobilität der einzig richtige Weg. Ja, die Transformation ist anstrengend, aber langfristig wird sich die Elektromobilität klar durchsetzen. Wir müssen Wirtschaft und Gesellschaft dekarbonisieren. Das sind wir den kommenden Generationen schuldig.“

Thomas Schäfer, VW-Markenchefautogazette

Auch in den USA gibt es Bundesstaaten, die eigene Gesetze zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor erlassen wollen. Gleichzeitig gibt es Befürchtungen, dass ein Wahlsieg Donald Trumps die Transformation hin zur E-Mobilität um Jahre zurückwerfen könnte.

Ab 2035 muss jeder Neuwagen in der EU emissionsfrei sein. Die fossile Lobby versucht, den Beschluss zu kippen.

Beim Auto „führt kein Weg am batterieelektrischen Fahren vorbei“

Alternativen mit schlechterer Energiebilanz wie synthetische Kraftstoffe (E-Fuel) machten nur dort Sinn, wo eine Elektrifizierung nicht möglich sei, sagt Schäfer, „zum Beispiel in der Luftfahrt oder für die Schifffahrt“ und in der Bestandsflotte. Bei Pkw im Volumensegment führe aber „kein Weg am batterieelektrischen Fahren vorbei“. Das sehe auch die Wissenschaft seit Jahren so.

Plug-in-Hybridautos mit Verbrennungs- und Elektromotor, die vor allem in China und den USA boomen, hält er lediglich für eine „Übergangstechnologie“, die sich auf Dauer nicht durchsetzen werde, „weil es eine teure Technologie ist“.

VW setzt auf Elektroantrieb

Tatsächlich hat VW nach dem Dieselskandal 2015 zwangsläufig seine Strategie um 180 Grad gedreht und konsequenter auf E-Mobilität gesetzt als andere große Autokonzerne. Elektro-Turbo und Elon Musk-Fan Herbert Diess übernahm nach dem Abgasskandal das Ruder und bekennt den Diesel-Konzern trotz aller internen Widerstände zum Elektroauto. 2023 verkauften nur Tesla und BYD aus China mehr Elektroautos als VW.

Top 10 Elektroautohersteller 2023

Berücksichtigt werden dabei ausschließlich vollelektrische Fahrzeuge (BEVs), also keine Plug-in-Hybride (PHEVs).Grafik: Analyse der Autoindustrie

Fast alle großen Konkurrenten, ob sie nun Toyota, Hyundai-Kia oder BMW heißen, verfolgen eine mehrgleisige Strategie. Sie favorisieren Hybridautos mit Verbrennungsmotor, die nach wie vor deutlich stärker nachgefragt sind als reine Elektroautos. Von einer Aufweichung des Verbrennerverbots für Neuwagen würden vor allem Autobauer wie Toyota profitieren, die von Anfang an auf Hybridantriebe gesetzt haben, inzwischen Rekordgewinne einfahren und deshalb den Übergang zum Elektroauto so lange wie möglich hinauszögern.

Auch VW hat auf den Hybrid-Trend reagiert und bietet die neuen Versionen von Golf, Passat und Tiguan als Plug-in-Hybride an. „An der Transformation des Portfolios in Richtung ,E‘ ändert das allerdings nichts“, sagt Schäfer. „Bis 2027 bringen wir als Marke VW insgesamt 11 neue E-Modelle auf den Markt.“

Keine Elektroautokrise

Das verlangsamte Wachstum der E-Mobilität ist Wasser auf die Mühlen der E-Auto-Skeptiker. Während Hybridautos weltweit rasant Marktanteile gewinnen und in der Schweiz mittlerweile 40 Prozent ausmachen, sind die Neuzulassungen von Elektroautos (17,4 Prozent) dieses Jahr bei uns gesunken. Ende Mai lagen sie gut 4 Prozent tiefer als vor einem Jahr.

„Zwischentiefs“ seien beim Hochlauf einer neuen Technologie „nichts Ungewöhnliches“, entgegnet Schäfer, der sich selbst als „großen Elektro-Fan“ bezeichnet.

Er sieht die Elektromobilität nicht in einer Krise, denn die Auftragseingänge zogen bereits wieder an. Im ersten Quartal 2024 seien die Auftragseingänge des VW-Konzerns in Westeuropa um 154 Prozent auf rund 160.000 Elektroautos gestiegen.

Anders als andere Autobauer will das Unternehmen deshalb an seinen gesetzten Zielen für Elektroautos festhalten: Ab 2030 sollen mindestens 70 Prozent der Verkäufe der Kernmarke VW in Europa reine Elektroautos sein, in den USA und China sogar mehr als 50 Prozent.

Zu diesem Zweck hat VW den Großteil seiner Modellpalette elektrifiziert, vom Kompaktwagen in der Größe eines Golf über SUV, Limousinen und Kombis bis hin zu elektrischen Kleinbussen. Im Kleinwagensegment klafft eine Lücke, die erst 2026 geschlossen sein wird. Und bis dahin, oder bis Diesel-Dieter selbst ein Elektroauto Probe gefahren hat, wird die Stimmung gegen die Elektromobilität anhalten.

Die 20 meistverkauften Elektroautos der Schweiz im Jahr 2023

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Die 20 meistverkauften Elektroautos der Schweiz im Jahr 2023

Platz 20: BMW i4 (658 Verkäufe).

Quelle: BMW

800 Aktivisten stürmen Tesla-Gigafactory in Deutschland

Video: Watson

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