„Hart aber fair“: „Diese Regierung hat eine klare Mehrheit“, sagt Juso-Chef
EEuropa hat gewählt – und die demokratischen Parteien sind in Aufruhr, weil rechte Parteien wie die AfD stark zugelegt haben. Die regierenden Ampelparteien erhielten zusammen nur noch 31 Prozent der Stimmen – vor allem die Grünen und die Kanzlerpartei SPD verloren kräftig an Stimmen. Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte das Wahlergebnis einen „schallenden Schlag ins Gesicht der Ampelkoalition“ und die Bevölkerung habe „die Nase voll von dieser Regierung“. Politiker der Union forderten bereits eine Vertrauensabstimmung für Kanzler Olaf Scholz oder gar Neuwahlen im Bundestag.
Welche Konsequenzen wird die Bundespolitik aus der Wahl ziehen, und bleibt es mit der Ampel-Koalition so wie bisher? Am Montag fragte Moderator Louis Klamroth bei „Hart aber fair“: „Was hält die Ampel-Koalition noch zusammen?“
Als Vertreter der Ampel-Koalition diskutierten die Grünen-Innenpolitikerin Lamya Kaddor, FDP-Bundesvorstandsmitglied Konstantin Kuhle und Jungsozialisten-Chef Philipp Türmer (SPD). Auf der anderen Seite des Panels saßen Oppositionspolitikerin Serap Güler (CDU) sowie Schriftstellerin Juli Zeh, Journalistin Helene Bubrowski („Table.Media“) und BAP-Sänger Wolfgang Niedecken.
Was die Ampelkoalition noch zusammenhält, wurde während der Sendung nicht wirklich deutlich. Stattdessen stritten die drei Koalitionsvertreter über den Umgang mit der Schuldenbremse. Grüne und Sozialdemokraten sprechen sich für eine Aufweichung der Bremse aus. Die FDP ist klar dagegen, wie Parteichef und Finanzminister Christian Lindner mehrfach beteuerte.
Während Juso-Chef Türmer darauf verwies, dass die Mehrheit der Ökonomen die Schuldenbremse infrage stelle, warb FDP-Mann Kuhle zunächst um Unterstützung bei der Oppositionspartei. Die Union im Bundestag stehe für eine Aufweichung der Schuldenbremse nicht zur Verfügung, sagte er an Güler gerichtet. „Ist das richtig?“, fragte er.
Als der CDU-Politiker diese Frage bejahte, wandte sich Kuhle mit Nachdruck an die Koalitionspartner: „Dann wird es in dieser Legislaturperiode keine Aufweichung der Schuldenbremse geben. Und damit ist die Sache erledigt.“ Zudem sei sie ein „Gebot der Generationengerechtigkeit“, so der FDP-Politiker.
Die drei waren sich einig, dass es Teil der Politik sei, über die besten Lösungen zu streiten. „Aber manchmal streiten wir des Streitens wegen“, sagte Grünen-Politiker Kaddor zu Kuhle. „Wir sollten uns in dem einen oder anderen Bereich mehr disziplinieren und die Boxhandschuhe ausziehen.“ Das täte auch der Streitkultur gut.
Die SPD erreichte bei der Europawahl nur 11,9 Prozent. Unionspolitiker wie Carsten Linnemann fordern eine Vertrauensfrage für Kanzler Olaf Scholz. Parteikollege Güler schlug ins gleiche Horn, „um schnell wieder Vertrauen in die Politik zu gewinnen“. Die Ampelkoalition war in den vergangenen Jahren vor allem durch Kontroversen aufgefallen und trägt die Hauptverantwortung für das geschwächte Vertrauen in die Politik.
SPD-Politiker Türmer lehnte eine Vertrauensfrage oder Neuwahlen zwar umgehend ab, sagte aber: „Eine Vertrauensfrage wäre eine Option, wenn etwa die FDP ihre Drohungen wahr macht, die Koalition bei der Schuldenbremse zu sprengen.“ So weit sei man derzeit aber nicht, und: „Diese Regierung hat eine klare Mehrheit.“
Nun müsse die Bundesregierung „endlich auch inhaltlich liefern“. Die Opposition stelle „mit der Vertrauensfrage jetzt eine etwas triumphale Forderung. Nehmen wir das nicht so ernst.“
Die „Dreier-Zwangsehe“ der Koalition
Journalistin Bubrowski forderte die Regierung auf, eine Politik zu betreiben, die auf Fakten basiert und die Probleme der Menschen ernst nimmt – das sei bisher versäumt worden. „Es muss sich jetzt etwas ändern“, sagte sie, und das erwarteten die Wähler. Schriftstellerin Juli Zeh wies darauf hin, dass die „Dreier-Zwangsehe“ der Ampel-Koalition nicht aus Liebe eingegangen worden sei, sondern bereits „das Ergebnis des Wählerverhaltens“ sei.
Neuwahlen würden zu einem „noch dysfunktionaleren Konstrukt“ führen, von dem die AfD profitieren würde, sagte sie. „Die Idee, eine Vertrauensabstimmung zu stellen und Neuwahlen abzuhalten, ist schlichtweg Wahnsinn, sie ist brandgefährlich.“
Eine gewisse Einigkeit war zum Abschluss der Sendung in der Debatte um Abschiebungen nach dem Messerangriff in Mannheim zu spüren. Der mutmaßliche islamistische Attentäter stammt aus Afghanistan, Bundeskanzler Scholz hatte sich in einer Regierungsrede für die Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan oder Syrien ausgesprochen.
Die Ampel-Vertreter waren sich grundsätzlich einig, dass Abschiebungen von Gefährdern und Straftätern durchgeführt werden müssten, wenn sie rechtssicher geprüft worden seien. Zugleich müsse konsequenter gegen den Islamismus vorgegangen werden, forderte Juso-Chef Türmer. „Dafür müssen die Polizeibehörden gestärkt und diese Social-Media-Plattformen massiv reguliert werden.“ Dort werde viel islamistische Hassrede leicht zugänglich verbreitet. „Die Leute liegen auf dem Sofa und radikalisieren sich übers Handy.“
Juli Zeh bezeichnete die Diskussion als eine Scheindebatte. Die Ampel-Vertreter hätten über etwas anderes gesprochen als über die Frage der Abschiebung nach Afghanistan. „In Wirklichkeit wird darüber diskutiert, dass ein großer Teil der Bevölkerung ein Unbehagen in der Migrationspolitik hat. Der Glaube, man könne diesem Unbehagen mit einer solchen symbolischen Einzelfalldebatte begegnen, ist Wasser auf die Mühlen derer, die immer wieder behaupten, dieses Land sei zu weich und alles werde geduldet.“
Diskutiert werden müsse vielmehr die Frage: „Wie gehen wir mit der Migration um?“ Für Antworten blieb den Ampel-Vertretern am Ende der Sendung keine Zeit mehr.