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Pistorius stellt Pläne vor: So könnte der neue Wehrdienst aussehen

Stand: 12.06.2024 07:54

Vor 13 Jahren wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Nun wird über ihre Wiedereinführung debattiert. Verteidigungsminister Pistorius stellt heute seine Pläne für ein neues Dienstmodell vor. Erste Details sind bekannt.

Tim Assmann

Kai Clement

Angst muss man nicht haben. Vor allem nicht, wenn man Boris Pistorius heißt. Die Bundeskanzlerin hat nämlich bestätigt, dass es sich bei den Überlegungen zum Wehrdienst der Zukunft um „eine bewältigbare Aufgabe“ handelt. Eine „bewältigbare Aufgabe“, an der der Minister und auch Generalinspekteur Carsten Breuer seit Monaten arbeiten. Pistorius‘ Gegenargument bei einer Befragung im Bundestag vergangene Woche: „Ich persönlich rudere gern zurück, aber selten. Und deshalb war das auch in diesem Fall nicht der Fall.“

Dass seine SPD oder gar die Kanzlerin die Pläne zur Zukunft der Wehrpflicht zurückschraubten, will der Verteidigungsminister nicht hören. Eine Kernfrage: Wie viel Wehrpflicht soll es künftig geben? Schließlich geht es darum, die Personallücke von derzeit rund 20.000 Soldaten zu schließen. Die Bundeswehr soll zudem „wachstumsfähig“ sein, also flexibler auf Bedrohungen reagieren können.

Kein Zurück in die Vergangenheit

Eine Rückkehr zur alten Wehrpflicht ist nicht mehr denkbar. Diese Wehrpflicht war Mitte der 1950er Jahre eingeführt worden und sollte der Bundeswehr während des Kalten Krieges immer genügend Rekruten sichern. Eingezogen wurden alle jungen Männer jeden Alters. Die Wehrpflicht galt ab 18 Jahren. Wer nicht zur Armee wollte, musste einen Ersatzdienst ableisten, zum Beispiel in Form eines sogenannten Zivildienstes. Im Laufe der Jahrzehnte wurde die Wehrpflicht von eineinhalb Jahren auf sechs Monate verkürzt. Der Personalbedarf der Bundeswehr sank, immer weniger junge Männer wurden überhaupt eingezogen.

2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Sie kann in Zeiten der Spannung oder der Verteidigung wieder eingeführt werden. Um Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen, müsste das Grundgesetz geändert werden.

Es fehlt an Kasernen, Ausbildern und Waffen

Weder die Verteidigungsministerin noch die Bundeskanzlerin wollen zu diesem alten Modell zurückkehren. Grundsätzlich soll nicht jeder eingezogen werden – die Bundeswehr braucht nicht so viel Personal und sie hat auch nicht mehr die Strukturen dafür: keine Kasernen, keine Ausbilder, keine Waffen. Nötig sei eine Form der Rekrutierung, die es erlaubt, die Bundeswehr in den nächsten Jahren von derzeit 180.000 auf rund 200.000 Soldaten wachsen zu lassen. Mittel- bis langfristig sollen mehr Reservisten zur Verfügung stehen und der Dienst in der Armee insgesamt attraktiver werden.

Diskutiert wird ein System, bei dem 18-Jährige eine Art Wehrpflichtfragebogen erhalten, den sie ausfüllen müssen. Darin könnte auch eine Frage nach der grundsätzlichen Bereitschaft zum Wehrdienst enthalten sein. Auch ein Modell, bei dem die Truppe den Bedarf selbst steuert, also jedes Jahr die Größe der Kontingente bestimmt, wurde bereits erwogen.

In jüngster Zeit zeichnet sich eine Wehrpflichtlösung ab, die weitgehend auf Freiwilligkeit setzt. Experten bezweifeln allerdings, dass die Bundeswehr ihren Personalbedarf auf diese Weise decken kann.

Für Pistorius ist es nicht möglich, auf die Pflicht zu verzichten

So viel Lärm um nichts? Nein, sagt Pistorius. Er habe grundsätzlich kein Problem mit Zwangsmaßnahmen: „Ich bin der festen Überzeugung, dass es ohne verpflichtende Komponenten nicht gehen wird.“ Wie diese „Komponenten“ genau aussehen werden, hat er im Bundestag allerdings noch nicht verraten. Das werde er erst heute verkünden.

Pistorius reiste im März nach Skandinavien und schaute sich das schwedische Modell an: Jeder wird kontaktiert, nur ein Bruchteil wird geprüft, nur die Besten ausgewählt. Militärdienst als Auszeichnung. Dieses Modell fand Pistorius damals „besonders passend“. Generalinspekteur Carsten Breuer sieht das genauso. Für ihn bietet das schwedische Modell viel Flexibilität.

Opposition fürchtet „verpasste Chance“

CDU-Verteidigungsexperte Henning Otte rechnet allerdings damit, dass nur der Brief an alle Volljährigen bleiben wird. Ein Werbebrief für die Bundeswehr. „Hier muss mehr drinstecken, als bisher angenommen“, fordert er. Für weitere Pläne hat Pistorius keine Rückendeckung aus dem Kanzleramt, ihm fehlt die politische Unterstützung.

Die Union drängt auf ein verpflichtendes Soziales Jahr. Dazu soll auch die Wehrpflicht gehören. CDU-Fraktionsvize Johann Wadephul hat keine großen Erwartungen an Pistorius‘ heutigen Auftritt, er hält ihn für eine verpasste Chance. Für Wadephul gibt es aus der Koalition und aus der eigenen Partei klare Stoppsignale für Pistorius‘ Pläne.

Was bleibt von Pistorius‘ Pflichtgedanken?

Vor zwei Wochen saß Pistorius im SPD-Präsidium. Danach war viel von Förderung der Bundeswehr die Rede, von attraktiven Angeboten wie einem Gratis-Führerschein. Von Pflichtmitgliedschaft kein Wort.

Dass alle jungen Männer den Brief über den Wehrdienst beantworten müssen – das könne das Ende von Pistorius‘ Pflicht sein, meint der designierte Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber von den mitregierenden Liberalen. Für ihn gehe es heute nur um den „Beginn der Lösung der Probleme, den ersten Schritt“.

Wenn aus der Idee Realität wird, stellen sich gleich die nächsten großen Fragen: Werden sich tatsächlich genügend Freiwillige melden? Oder folgt dem ersten Schritt schon bald der zweite?