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Worum es in der Wehrpflichtdebatte geht


FAQ

Stand: 12.06.2024 13:30

Verteidigungsminister Pistorius plant ein neues Wehrpflichtmodell für die Bundeswehr. Wie soll es aussehen, wie viele Kapazitäten hat die Bundeswehr für die Ausbildung und warum gilt die Wehrpflicht nur für Männer? Ein Überblick.

Die Ausgangssituation

Verteidigungsminister Boris Pistorius will die seit 13 Jahren ausgesetzte Registrierung Wehrpflichtiger für ein neues Wehrpflichtmodell wieder einführen. Der SPD-Politiker hat den Verteidigungsausschuss des Bundestags über seine Pläne informiert. Am Nachmittag will er sie auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorstellen.

Pistorius‘ Vorschlag könnte ein erster Schritt zur möglichen Wiedereinführung einer neuen Wehrart sein. Zugleich will der Verteidigungsminister zunächst die Schritte anstoßen, die noch in dieser Legislaturperiode praktisch möglich erscheinen.

Wie soll die Auswahl der Rekruten erfolgen?

Nach dem Plan der Verteidigungsministerin sollen die jungen Männer einen Fragebogen über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Militärdienst ausfüllen. Im Falle ihrer Auswahl müssen sie sich einer medizinischen Untersuchung unterziehen. Geplant ist zudem, zusätzliche Kapazitäten für die medizinischen Untersuchungen zu schaffen.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa wäre zur Umsetzung des Plans eine Ausweitung des Wehrpflichtrechts für junge Männer notwendig.

Welche Verpflichtung besteht?

Nach dem Pistorius-Modell wäre es Pflicht, den Fragebogen auszufüllen und sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, wenn man dazu eingeladen wird. Pistorius scheint jedoch auch für Möglichkeiten zu plädieren, die Wehrpflicht in Friedenszeiten zu ermöglichen, wenn nicht genügend Rekruten gefunden werden können.

Wie viele Personen sollen auf diese Weise untersucht werden?

Die Militärplaner gehen davon aus, dass jährlich 400.000 Menschen den Fragebogen ausfüllen müssen. Sie schätzen, dass ein Viertel davon Interesse bekunden könnte.

Geplant ist, 40.000 Wehrpflichtige zum Wehrdienst einzuberufen. Der Wehrdienst soll sechs bis zwölf Monate dauern.

Wie hoch ist die Ausbildungskapazität?

Derzeit besteht die Möglichkeit, 5.000 bis 7.000 Rekruten auszubilden, doch diese Zahl dürfte noch steigen.

Warum gilt die Wehrpflicht nur für Männer?

Um die Wehrpflicht für junge Frauen einzuführen, müsste das Grundgesetz geändert werden. In Artikel 12a heißt es derzeit: „Männer können vom 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“

Warum wird jetzt wieder über die Wehrpflicht debattiert?

Die Personalsituation in der Bundeswehr verschlechtert sich zusehends. Pistorius ließ deshalb – auch unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – Modelle einer Wehrpflicht prüfen. Er hatte bereits während einer Regierungsbefragung durchblicken lassen, dass er nicht mit einer vollständigen Freiwilligkeit rechne: „Ich bin der festen Überzeugung, dass es ohne verpflichtende Elemente nicht gehen wird.“

Er betonte immer wieder, Deutschland müsse „kriegsbereit“ werden, um gemeinsam mit den Nato-Verbündeten glaubwürdig abschrecken zu können. Zuletzt äußerte er auf dem Tag der Bundeswehr Verständnis dafür, dass der Begriff „Kriegsbereitschaft“ manche Menschen erschreckt habe und noch immer störe. Dies sei teilweise auch so gewollt. „Es ist notwendig, durch die Verwendung der richtigen Begriffe deutlich zu machen, worum es geht“, fügte er hinzu. Es gehe darum, einen Verteidigungskrieg führen zu können, wenn man angegriffen werde – „also auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, um es nicht erleben zu müssen.“

Wie ist die Personalsituation bei der Bundeswehr?

Nach Angaben des Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, liegt der Personalbedarf der Bundeswehr heute weit über dem einst politisch vorgegebenen Ziel von 203.300 Soldatinnen und Soldaten. Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr aus dem Jahr 2018 habe bereits mehr als 240.000 Männer und Frauen vorgesehen, sagte Wüstner.

Weil es seit Februar 2022 zusätzliche politische Mandate und steigende Nato-Verpflichtungen gebe, „ dürfte die Zahl aktuell aber deutlich höher liegen.“ Trotz einer Personaloffensive war die Bundeswehr im vergangenen Jahr auf 181.500 Soldatinnen und Soldaten geschrumpft.

Wie ist die Wehrpflicht bisher geregelt?

2011 wurde in Deutschland unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach 55 Jahren die Wehrpflicht ausgesetzt. Dies kam einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden praktisch sämtliche Strukturen für die Wehrpflicht aufgelöst.

Das Wehrpflichtgesetz sieht zudem vor, dass die Wehrpflicht für Männer wieder eingeführt wird, wenn der Bundestag den Spannungs- oder Verteidigungsfall erklärt. Nach 2011 gab es jedoch keine konkreten Vorbereitungen für einen solchen Fall.

Warum sind so viele Menschen gegen die Wehrpflicht?

In der Debatte um die Wehrpflicht geht es auch um den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Wehrgerechtigkeit. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt, seit Gründung der Bundeswehr habe es immer mehr wehrfähige Männer gegeben, als für die Armee benötigt wurden. Dies sei oft als ungerecht empfunden worden.

Der Staat kennt noch weitere Pflichtdienste, wie zum Beispiel Schöffen. Jeder Bürger ist verpflichtet, diese Aufgabe als ehrenamtlicher Schöffe zu übernehmen. Und für den Brandschutz wird eine sogenannte Pflichtfeuerwehr eingerichtet, wenn keine Freiwillige Feuerwehr aufgestellt werden kann. Die Kommunen müssen dann geeignete Leute für den Dienst im Feuerwehrdienst anwerben.

Zuletzt wurde zudem öffentlich über einen erweiterten neuen Dienstzweck diskutiert, der auch Rettungsdienste und Katastrophenschutz einschließen könnte.

Wie reagiert die Bundeswehr auf Pistorius‘ Pläne?

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Wüstner, hatte bereits vor Bekanntwerden der Pistorius-Pläne entschlossene Schritte hin zu einer neuen Wehrpflicht gefordert. Die Personalstärke der Bundeswehr sei in diesem Monat auf den niedrigsten Stand seit 2018 gesunken, sagte Wüstner der Nachrichtenagentur dpa.

„Die nächsten Tage werden zeigen, wer seit der Ankündigung der Wende tatsächlich einen Wandel seines Verständnisses zumindest in der Verteidigungspolitik erlebt hat“, sagte der Verbandschef mit Blick auf die Debatte. „Denn wer das behauptet – ich hoffe, das tun zumindest die Politiker -, der wird sich nicht gegen eine neue Form der Verteidigung oder eine neue Art der Wehrpflicht aussprechen können.“

Wie steht die Ampel-Koalition zur Wehrpflicht?

Gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht gab es zuletzt vor allem in Teilen der SPD deutlichen Widerstand. SPD-Chef Lars Klingbeil sprach sich dafür aus, weiterhin auf freiwillige Rekrutierung zu setzen. „Ich finde, wir sollten es mal freiwillig ausprobieren, indem wir die Bundeswehr noch attraktiver machen“, sagte er.

„Für mich ist die Erfahrung von Selbstbestimmung entscheidend für die Akzeptanz der Demokratie“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch mit Blick auf das Engagement in der Bundeswehr und die damit verbundene große Verantwortung für Deutschlands Sicherheit sei die Freiwilligkeit das richtige Prinzip.

Grünen-Chef Omid Nouripour stellte zum Jahreswechsel klar: „Ich glaube nicht, dass die Wehrpflicht notwendig ist.“

Aus der FDP gab es zunächst Widerstand gegen die Wehrpflicht, ein Kurswechsel scheint jedoch möglich. Der neue Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, der FDP-Politiker Marcus Faber, begrüßte den Vorschlag der Ministerin: „Die Bundeswehr braucht Ausbaufähigkeit. Dabei sollten wir zunächst auf Freiwilligkeit setzen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

„Der Truppe ist mehr gedient, wenn sie Leute bekommt, die den Job machen wollen“, sagte Faber. „Die Schritte, die Pistorius plant, sind dafür gut geeignet.“ Zugleich plädierte Faber dafür, die Vorschläge des Ministers noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Dazu sei allerdings zunächst ein Gesetzentwurf der Bundesregierung nötig.